Salome umarmt den Tod

Faszinierend: Marlis Petersen als Salome in München.
Faszinierend: Marlis Petersen als Salome in München.(c) Opernfestspiele München/Wilfried Hösl
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Marlis Petersen brillierte bei den Münchner Opernfestspielen in der für sie neuen Rolle als Salome. Im Jänner ist sie damit in Wien zu sehen.

Wenn man die Chance hat, eine Rolle mit Kirill Petrenko zu erarbeiten, ist man das glücklichste Wesen der Welt“, schwärmte Marlis Petersen schon vor der „Salome“-Premiere. Was auch immer diese Ausnahmesängerin für die Gestaltung dieser Rolle Petrenko verdankt: Ihr Debüt als Salome war außerordentlich, gleichermaßen sängerisch wie schauspielerisch.

Tief bewegend, wie sie den Wandel dieses zur Affektiertheit neigenden pubertierenden Mädchens zur sich bald nicht allein nach Sexualität, sondern nach wirklicher Liebe sehnenden jungen Frau zeichnete. Wie sie sich mit dem Teufel in Ekstase tanzte, um schließlich mit höchster Hingabe den Kopf ihres geliebten Jochanaan zu liebkosen. Ihn sieht man nicht. Er wird Salome in einer Schachtel überbracht, bleibt damit dem Zuschauer verborgen, wie so vieles andere in der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski. Ihm liegt weniger an einer Nacherzählung der Handlung als am Aufzeigen der vielen Metaebenen dieses Musikdramas. Als Inspirationen nannte er u. a. Pasolinis „Die 120 letzten Tage von Sodom“ und Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter“.

Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg

Walikowski hat die Handlung in die 1940er-Jahre verlegt, zentral in seiner Inszenierung sind die Streitgespräche zwischen den Juden, als Einheitsbühnenbild dient die Bibliothek einer jüdischen Gemeinde. Anfangs versammeln sich alle, um das erste von Mahlers „Kindertotenliedern“ in der legendären Einspielung von Kathleen Ferrier und den Wiener Philharmonikern unter Bruno Walter zu hören. Wiederholtes heftiges Klopfen beendet dieses bürgerliche Scheinidyll. Am Ende kommen wieder alle zusammen, um dem zum Todestanz umfunktionierten Tanz der sieben Schleier zuzusehen. Dafür teilt sich die Bühne in der Mitte, denn Salomes sinnliche Umarmung mit dem Tod findet in der in der Mitte platzierten Zisterne vor dem Hintergrund eines Videos statt, das allegorische Darstellungen nach dem Vorbild von im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Soldaten zerstörte Synagogenmalereien in Chodorow zeigt.

Erkennt nach diesem tänzerischen Furor Salome die Welt nicht mehr, hat sie den Bezug zur Realität verloren? Wenn sie am Ende Jochanaans Kopf küsst, sitzt ihr dieser plötzlich gegenüber, sieht gemeinsam mit Herodes und Herodias geradezu lässig-entspannt zu. Ein verstörendes Bild einer Gesellschaft, die in ihrer Dekadenz die Moral so über den Haufen geworfen hat, dass Begehrlichkeit alles andere überstrahlt. Menschliches Miteinander hat keinen Platz mehr, Leben keinen Wert. Eine beklemmende Metapher, die Warlikowski aus der „Salome“ liest, wobei sich viele seiner Ideen in seinem Programmessay deutlicher erschließen als auf der Bühne – so suggestiv die Bilder auch sind, die Małgorzata Szczęśniak dazu entworfen hat. Die Mehrzahl der Besucher konnte mit dieser avancierten Bilderzählung nur wenig anfangen, wie die heftigen Reaktionen nach der Aufführung zeigten.

Umso mehr bejubelt wurde die musikalische Seite. Münchens Generalmusikdirektor, Kirill Petrenko, konzentrierte sich an der Spitze seines unterschiedlich glanzvoll aufspielenden Orchesters mehr darauf, Details mit geradezu kammermusikalischer Dezenz herauszuarbeiten, als auf durchgehende Spannung, wie es Franz Welser-Möst 2018 in Salzburg so exemplarisch vorgezeigt hat.

Unter den Protagonisten dominierten Wolfgang Kochs profunder Jochanaan, Pavol Bresliks wohltönender Narraboth und Michaela Schusters klangmächtig aufdrehende Herodias. Sie alle aber verblassten neben der faszinierenden Strahlkraft Marlis Petersens. Kommende Saison wird man sie am Theater an der Wien als Salome erleben können, dann in der Regie von Nikolaus Habjan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2019)

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