Festspiele Bregenz: Im Takt der Maschine des Mordens

Passagierin Takt Maschine Mordens
Passagierin Takt Maschine Mordens(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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„Die Passagierin“ berührt mehr durch das Thema Auschwitz und starke Bilder als durch Mieczysław Weinbergs immer wieder langatmige Musik. Die polnische Autorin Zofia Posmysz war drei Jahre in Auschwitz inhaftiert.

Die Pauken donnern ein kraftvoll treibendes Solo, das tiefe Blech setzt wuchtig-satte Akkorde hinzu, die kleine Trommel macht gleichsam die kleinsten Rädchen im Getriebe hörbar: So lässt Mieczysław Weinberg seine Oper „Die Passagierin“ anheben – und sogleich wähnen wir uns durch diese Klangchiffren des erfahrenen Filmmusikkomponisten versetzt auf jenen Ozeandampfer Anfang der 1960er-Jahre, auf dem die Handlung, besser: das Erinnern seinen Anfang nimmt. Hier das Schnauben und Ächzen der gigantischen Maschinen im Dienste des Menschen zu hören mag stimmen – und ist doch falsch zugleich: Erst viel später an diesem langen Abend bei der szenischen Erstaufführung des Werks erfahren wir, dass die Musik auch und wohl eigentlich eine ganz andere Maschinerie meint, die radikal gegen den Menschen gerichtet war: Auschwitz, die Fabrik des Todes, in der die Nazis Leichen wie am Fließband erzeugt haben.

Wiederkehr des Verdrängten

Denn die eröffnenden Klänge nehmen jenen Moment in den vielfältigen Rückblenden vorweg, in dem beim Appell die Nummern der Gefangenen aufgerufen werden, die zum Gang in die Gaskammer bestimmt sind. Ein Zahnrad im Getriebe des institutionalisierten Mordens war die Deutsche Lisa: Offenbar nie zur Verantwortung gezogen, trifft die einstige Aufseherin und nunmehrige Diplomatengattin auf ihrer „zweiten Hochzeitsreise“ nach 15Jahren einen Schatten aus verdrängter Vergangenheit – die Polin Martha, eines ihrer Opfer im KZ.

Lange hatte die polnische Autorin Zofia Posmysz über ihre drei Jahre Haft in Auschwitz bis zur Befreiung durch die Amerikaner geschwiegen – bis sie in Paris 1959 eine deutsche Stimme hörte, die genau so klang wie jene ihrer Aufseherin. Ein Zufall nur – aber gleichzeitig der Anstoß zur kreativen Auseinandersetzung mit dem Erlebten und Erlittenen. Unter dem Titel „Die Passagierin“ entstand zunächst ein Hörspiel, das sie dann zu einem Fernsehspiel und schließlich zu einem Roman umarbeitete, welcher 1963 von Andrzej Munk verfilmt wurde, der während der Dreharbeiten ums Leben kam. Fünf Jahre später schloss Weinberg die Arbeit an seiner Opernversion des Stoffes ab: Er sollte sie nie hören können. Erst 2006, zehn Jahre nach seinem Tod, fand in Moskau die konzertante Uraufführung statt.

Weinberg steht im Zentrum des Musikprogramms der diesjährigen Bregenzer Festspiele mit ihrem Motto „In der Fremde“: Während auf der Seebühne Graham Vicks erfolgreiche Wasser-Erde-Feuer-Luft-Inszenierung von Verdis „Aida“ wiederholt wird, ist der marginalisierte, nahezu vergessene Wahlrusse polnisch-jüdischer Herkunft nicht nur mit der „Passagierin“ im Festspielhaus, sondern auch mit der Gogol-Vertonung „Das Portrait“ im Theater am Kornmarkt (ab 31.Juli) sowie mit zahlreichen Werken im Konzertprogramm vertreten.

Anklänge an Schostakowitsch

Geboren 1919 in Warschau, floh der hochbegabte Weinberg vor den Nazis zunächst nach Minsk, dann nach Taschkent und bekam in Dmitri Schostakowitsch einen namhaften Freund und Fürsprecher – nicht nur in musikalischer Hinsicht, sondern auch, als Weinberg dem stalinistischen Terror zum Opfer zu fallen drohte. Obwohl Weinberg sich der geltenden stilistischen Doktrin des „sozialistischen Realismus“ weitgehend unterordnete, blieb er, teilweise wohl auch freiwillig, in der zweiten Reihe, vermutlich auch mitbedingt durch den sowjetischen Antisemitismus – so lange, bis er als altmodisch galt. Und tatsächlich scheint sich seine Tonsprache zumeist im Windschatten jener von Schostakowitsch aufzuhalten, mit besonderer Affinität zu dessen Jazzsuiten.

Das sichert ihr auch heute noch das offene Ohr eines breiten Publikums. Von der tänzerischen Schlagseite abgesehen, ermüdet die „Passagierin“ dann aber rasch durch die Gewohnheit, das musikalische Geschehen oft radikal auszudünnen, über düster dräuenden Orgelpunkten pointilistische Bläsertupfen, wiederholte Motive oder zerklüftete einstimmige Linien, etwa der Violinen, zu setzen. Die mögen dann auch so sauber, klar und gestisch erklingen wie durch die fulminanten Wiener Symphoniker unter der feurigen, bei allem Hang zu weit rudernder Zeichengebung höchst kontrollierten Leitung des jungen Russen Teodor Currentzis. Neben Kommentaren durch Zitate („O du lieber Augustin“, Schuberts Militärmarsch) nehmen zarte Ruhestrecken breiten – dramaturgisch allzu breiten – Raum in Anspruch, auch wenn deren alle Zeit suspendierender, im Augenblick erblühender lyrischer Gestus wie der notwendige utopische Gegenentwurf zu den unerbittlich auf den Tod zusteuernden Alltagsgräueln wirkt – beim unbegleiteten russischen Lied der Partisanin Katja etwa, die Svetlana Doneva mit herzzerreißend schönem Gesang zur heimlichen Hauptrolle macht.

Während Weinberg der Gefahr einer orchestral aufgeblasenen Pathetik dadurch entgeht, bleiben packende Zuspitzungen wie diese selten: Katjas Ankunft parodiert Beethovens Fünfte – doch klopft hier nicht etwa das Schicksal an die Pforte, sondern Schergen dreschen brutal auf ein Mädchen ein. Selbst die Kulminationsszene, in der der Geiger Tadeusz, Marthas Verlobter, den Barbaren in einem widerständigen Akt Bach vorspielt statt des Lagerkommandanten geliebte Walzerbanalität, und damit sein Todesurteil unterzeichnet, vermag das Werk nicht herauszureißen.

Lyrik ohne dramatisches Rückgrat

Der summierten Lyrik fehlt das dramatische Rückgrat, da können auch die tadellose Regie des Hausherrn David Pountney sowie Johan Engels' Realismus und Symbolkraft wunderbar verbindendes Bühnenbild nichts ändern. Ebenso wenig Elena Kelessidi als Martha, keine eigentliche Stimmschönheit, aber eine intensive Darstellerin, während umgekehrt Michelle Breedt verständliche Schwierigkeiten hat, Lisas zwei Gesichter begreiflich zu machen. Roberto Saccà als ihr erst schockierter, dann vertuschender Gatte stand an der Spitze des übrigen guten Ensembles, das der Prager Philharmonische Chor nobel grundierte.

So blieb der berührendste Augenblick des Abends jener, als Pountney Zofia Posmysz, diese so zerbrechlich wirkende alte Dame, zum Applaus auf die Bühne holte und sich das Publikum erhob. In ihrem Erscheinen allein verkörperte sich die beabsichtige Botschaft des Werks: niemals zu vergessen.

Noch am 26., 28., 31.Juli.

Festspiele Bregenz

„In der Fremde“ heißt heuer das Motto der Bregenzer Festspiele, die am 21.Juli mit Verdis „Aida“ auf der Seebühne begonnen haben (die Oper gibt es allabendlich bis -zum Ende der Festspiele am 22.August).

Höhepunkte sind neben Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin“ im Festspielhaus Orchesterkonzerte vor allem mit Werken Weinbergs. Das DeutscheTheater Berlin gastiert mit einer dramatisierten Fassung von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2010)

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