Salzburger Premieren: Das Gesicht des neuen „Dionysos“

Oper in den Festspielhäusern – und Rihms Musiktheatervisionen.

Salzburg 2010: Neu inszeniert werden Strauss' „Elektra“ (mit Waltraud Meier, Iréne Theorin, Dirigent: Daniele Gatti, Regie: Nikolaus Lehnhoff) und Glucks „Orpheus“ (unter Riccardo Muti mit Genia Kühmeier und Elisabeth Kulman, Regie: Dieter Dorn). Neu ist auch Vera Nemirovas Inszenierung von Alban Bergs „Lulu“ mit Patricia Petibon in der Titelpartie und Marc Albrecht am Dirigentenpult. Wieder aufgenommen werden Gounods „Romeo und Julia“ (mit Anna Netrebko) und Mozarts „Don Giovanni“.

Die absolute Novität des Sommers: „Dionysos“, das Auftragswerk für Wolfgang Rihm. „Szenen und Dithyramben. Eine Opernfantasie nach Texten von Friedrich Nietzsche“ – der Untertitel verrät viel über die Struktur des Vexierspiels über Textfragmenten und Lebensstationen des Philosophen.

Die idealisierte Vision der angebeteten Cosima Wagner, die Nietzsche in seinen Gedichten als „Ariadne“ apostrophiert, ist die erste Gegenspielerin des Hauptdarstellers, „N.“ (Bariton, bei der Uraufführung gesungen von Johannes Martin Kränzle). Eine Sopranstimme löst sich aus dem – wie in Richard Strauss' „Ariadne“ im Terzett singenden – Nymphen-Ensemble. Rihm führt sie in extreme Lagen, weit über dem hohen C, fordert aber im weiteren Verlauf, wenn sich der musikalische Fluss verdichtet, auch sehr dramatische Töne. Für die von Ingo Metzmacher dirigierte Uraufführung wird Mojca Erdmann diese Partie übernehmen. Während die erste Szene auf Ariadnes „Mich willst du? Mich, ganz?“ basiert, fungierte für Bild II die Phrase „Ich bin dein Labyrinth“ als Inspirationsquelle. „Ein Gast“ erscheint: In Rihms Psycholabyrinth eine Figur, die vielschichtige Assoziationen zu Leben und Werk Nietzsches zulässt – auch zu dem mittelmäßigen Komponisten und treuen Vasallen Heinrich Köselitz (1854–1918), den Nietzsche „Peter Gast“ nannte.

Rihm weist diesem „Gast“ einen Tenorpart zu (Matthias Klink), der in der folgenden Szene zum Apollo wird, der dem Ekstatiker „Dionysos“ entgegentritt. In fortschreitendem Wahnsinn unterliegt „N.“ in diesem Kampf der Kunstprinzipien und wird, wie einst Apollos Herausforderer Marsyas, gehäutet. „Die Haut“, dargestellt von einem Tänzer, nimmt physische Gestalt an, wohl auch als Anspielung auf Nietzsches Wort von der Schlange, die sich häuten muss, um nicht zu sterben...

„Dionysos“ in Ö1: 30.Juli, 19.30 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2010)

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