Festspiele: Schmerz, Klage und das Wesen Gottes

Salzburger Festspiele Schmerz Klage
Salzburger Festspiele Schmerz Klage(c) APN (Kerstin Joensson)
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Die Konzertserie "Kontinent Rihm" überzeugt mit spiritueller Musik aus Gegenwart und Renaissance.

Einen „Kontinent“ aus klingenden Bezügen und Querverweisen rund um den jeweiligen Hauptkomponisten aus Gegenwart und Vergangenheit zu entwerfen, gehört zu den vornehmsten Aufgaben von Markus Hinterhäuser – und die daraus entstehende Konzertserie alljährlich zu den eindrucksvollsten Erlebnissen bei den Salzburger Festspielen. Wolfgang Rihm, dessen Musiktheater „Dionysos“ letzte Woche im Haus für Mozart seine Uraufführung erlebt hat, eignet sich für eine solche Zentralposition besonders gut: Er hat stets mit besonderer Rücksicht auch auf die ältere Musikgeschichte komponiert und sich nicht gescheut, in Misskredit geratenen Kategorien wie „Gefühl“ und „Innerlichkeit“ wieder auf die Sprünge zu helfen – womit er auf erheblichen Widerstand gestoßen war.

Mittlerweile umrankt ihn selbst der Mythos eines Dionysos, welcher der zeitgenössischen Musik den subjektiven Ausdruck habe zurückerobern können – auch wenn Rihm sich gegen dergleichen simplifizierende Zuordnungen verwehrt. Vom Typ her könnte man sich ihn als Mynheer Peeperkorn aus Manns „Zauberberg“ vorstellen: eine selbstbewusste, charismatische Persönlichkeit, neben der manch noch so kluger Grübler nur verzwergen kann. Doch mit dem gravierenden Unterschied, dass dem Komponisten keineswegs aufgeplusterte Plattitüden über die Lippen kommen, wie Manns Kaffeepflanzer: Seine Rede hat immer Hand und Fuß – und schöpft aus jenem Vollen, aus dem sich auch seine Musik speist. Die Wurzeln reichen da bis in die Renaissance, zu Carlo Gesualdo etwa, dem Fürsten von Venosa.

Strenge gepaart mit Fantasie

Die Hyperchromatik von dessen „Tenebrae-Responsorien“ zum Karfreitag hat auch nach 400 Jahren nichts von ihrer Faszination verloren – selbst wenn die Akustik der Kollegienkirche Gesualdos harmonische Volten konsequent zu dissonantem Wabern verwischte. Die schmerzlich-klagende Tongebung der Countertenöre des Hilliard Ensembles fand ihre gedankliche Fortsetzung in Klaus Hubers „Tenebrae“ (1967), einer sensiblen, wortlosen Passionsmusik, bevor Wolfgang Rihm in „Quid est Deus“ (2007) 24 hermetische Sentenzen über das Wesen Gottes vorstellte: Strenge und Fantasie im Gleichgewicht, hervorragend dargeboten vom SWR Vokalensemble Stuttgart sowie dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Sylvain Cambreling. wawe

Fortsetzung von Kontinent Rihm: 5.8., 20.30Uhr, Kollegienkirche, mit Werken von Dowland, Webern, Stockhausen, Rihm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2010)

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