Langsam und leise zum Star geworden

Gerade ist er 50 geworden – und Musikdirektor der Staatsoper. Franz Welser-Möst im ORF-Porträt.

„Es geht um den Geist, der nicht in den Noten zu finden ist. Der Musiker muss sein Ego hinter sich lassen, damit er die Musik geschehen lässt.“ Mit diesen Worten beginnt Felix Breisach sein Filmporträt über Franz Welser-Möst – und findet damit eine sehr treffende Charakterisierung des neuen Generalmusikdirektors der Wiener Staatsoper. Mit Begabung, Fleiß, Demut und Ausdauer hat dieser es vom zweiten Geiger im Orchester des Linzer Musikgymnasiums bis zum international umjubelten Dirigenten geschafft. Und blieb dabei mit beiden Beinen auf dem Boden – ob in London, Cleveland, Zürich oder in Wien.

Das ist sicher nicht leicht, wenn man ständig mit Vorschusslorbeeren überhäuft wird, wie Welser-Möst jetzt, als angehender Staatsopern-Chef. Der scheidende Direktor Ioan Holender lobt ihn (natürlich nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er ihn dazu gemacht hat), Musikvereins-Chef Thomas Angyan lobt ihn, die Clevelander Führung lobt ihn. Seine Kultiviertheit, seine Unkonventionalität, seine Bescheidenheit werden herausgestrichen.


Drei Jahre dokumentiert. Die Doku gibt dem Zuschauer Gelegenheit, sich selbst ein Bild zu machen: Drei Jahre hat Breisach den Dirigenten mit der Kamera begleitet, beim Wandern am Attersee, beim Einstudieren des Wagner-Ringes an der Wiener Staatsoper, bei der Arbeit am Opernhaus Zürich (da war er von 1995 bis 2002 Musikdirektor, von 2002 bis 2005 Chefdirigent) und bei Konzerten mit dem Cleveland Orchestra (dessen Musikdirektor er seit 2002 ist). Eines wird dabei schnell klar: Welser-Möst ist kein Exaltierter, jegliche Starallüren sind ihm fremd – ruhig, bedächtig, aber mit umso mehr Überzeugungskraft formuliert er seine Standpunkte. Etwa wenn es ums Repertoiresystem geht. „Es gibt leider kaum noch ein Haus mit funktionierendem Sängerensemble. Weil die Versuchung des schnellen Erfolgs für die meisten größer ist, als sich für eine Entwicklung Zeit zu lassen. Meine Hoffnung ist es, genügend Sänger und Dirigenten davon überzeugen zu können, einen Weg zu gehen, der langfristig ist.“ Dazu gehöre auch die Möglichkeit des Scheiterns. „Wenn man wo als Gast ist und scheitert, wird man nicht mehr eingeladen. Im eigenen Ensemble gehört es dazu, Dinge ausprobieren zu können.“


Das Scheitern erlebt. Der Dirigent hat das Scheitern selbst erlebt: In London, als Chef des London Philharmonic Orchestra, fiel er Intrigen zum Opfer. Und war schon so weit, das Dirigieren ganz aufzugeben. „Ich wollte wieder an die Uni gehen, etwas anderes studieren und einen neuen Beruf ergreifen.“ Mit Zürich gab er sich eine letzte Chance – der Rest ist Erfolgsgeschichte.

Dass er bis zum letzten Herzschlag an seinem neuen Amt hängen wird, kann er sich indes nicht vorstellen. „Ich werde mich sicher nicht 30Jahre an den Posten klammern. Meine menschliche und persönliche Entwicklung möchte ich nicht von Prestige abhängig machen.“ Prestige, Statussymbole – alles keine Kategorien im Leben des 50-Jährigen: Für seine Zufriedenheit braucht Welser-Möst weder schnelle Sportwagen noch schicke Jachten. „Ein halber Tag auf dem Berg ist für mich erholsamer als eine ganze Woche am Strand. In der Natur kann ich die Stille unmittelbar erleben. Und die Musik entwickelt sich ja aus der Stille.“

Ein leiser Star also, der die Geschicke der Staatsoper übernimmt. Und der vielleicht gerade deshalb das Potenzial hat, lautstarkes Gerede und leere Versprechungen zu übertönen...


Meyer, Welser-Möst, Legris im TV: Sonntag, um 9.35Uhr, zeigt ORF2 im Rahmen der „Matinee“ das Porträt „Franz Welser-Möst“. Opern-Direktor Dominique Meyer und Ballettchef Manuel Legris werden eine Woche darauf, am 5.September, in der „Matinee“ mit „Pariser Charme trifft Wiener Flair“ um 9.35Uhr in ORF2 sowie am 26.September, um 18.30Uhr in 3sat porträtiert. Außerdem überträgt Ö1 live zwei von Welser-Möst dirigierte Opern: die erste Saisonpremiere, Paul Hindemiths „Cardillac“ (23.Oktober, 20Uhr) und schon davor, am 6.September, Giacomo Puccinis „La Bohème“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2010)

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