Welser-Möst, Cleveland: Bewegende Goldklänge

(c) ORF (Ali Schafler)
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Musikverein: Ein grandioses Allerheiligenkonzert im "Presse"-Zyklus mit Mozart und Richard Strauss.

Dem absoluten Grauen mit purer Schönheit zu begegnen, das ist eine der Möglichkeiten, die Kunst dem Menschen bietet. Richard Strauss hat davon Gebrauch gemacht. Angesichts seiner von Bomben zerstörten Heimatstadt im Jahr 1945, konfrontiert mit den namenlosen immateriellen Schäden, die geblieben sind, hat der 81-Jährige noch einmal zur Notenfeder gegriffen, um zu komponieren.

Das Ergebnis, die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“, ist ein sanft strömendes, elegisches Halbstundenwerk, in dem sozusagen Trauerarbeit in Klängen geleistet wird. Was nicht mehr war, nicht mehr sein durfte, wird hier noch einmal beschworen, aus stillem Schmerz und verschleierter Erinnerung auf die Höhe sanfter Erinnerungsekstase gehoben.

Zuletzt bleibt nur noch Beethovens „Eroica“-Trauermarsch als fernes Echo einer Kultur, deren Erben sich selbst um jeden zivilisatorischen Rang gebracht haben.

Trauerarbeit in Tönen

Das Werk kann man – zuletzt ist das von den meisten Interpreten auf diese Weise gehandhabt worden – als abstrakte, wohltönende Klangetüde für ein virtuoses Streichorchester exekutieren. Da ist ja tatsächlich viel zu schattieren, sind unmerkliche Übergänge von einem Klangregister ins andere zu modellieren, da soll sich die Klangfülle von Abschnitt zu Abschnitt steigern und runden.

All das kann sehr eindrucksvoll sein, auch ohne programmatischen Hintergedanken. Ein Ensemble wie die Streichersolisten des Orchesters aus Cleveland begegnet, das war auch diesmal zu hören, solchen Herausforderungen mit bravouröser Meisterschaft.

Rückkehr zur Wahrheit

Man kann dieser Musik bei aller technischer Kunstfertigkeit aber auch ihre Beredsamkeit zurückgeben, indem man die wahren Empfindungen mitschwingen lässt. Das ist Franz Welser-Möst gelungen, der bei seinen Clevelandern auf eine Streicherkultur vom Feinsten aufbauen – und so eine atemberaubend schöne Klangstudie ohne interpretatorischen Überdruck in ein bewegendes, ausdrucksstarkes Tondokument verwandeln kann.

Das sind die unnennbaren Schwingungen bewussten interpretatorischen Ausdrucks, die aus der Bewunderung für die pure Schönheit eines Kunstwerks – und diesfalls auch einer musikalischen Wiedergabe – ein anrührendes Erlebnis machen. Die Musiker schaffen damit einen Mehrwert, der im ersten Programm der diesjährigen Clevelander Musikvereins-Residenz (31. 10/1. 11.), auch Mozarts c-Moll-Messe zugute kam.

Diese ist wohl eines der gewaltigsten Fragmente der Musikgeschichte. Da brillierte auch der Wiener Singverein. Der Chor befindet sich dank der Einstudierungsarbeit von Johannes Prinz rechtzeitig zum 200-Jahres-Jubiläum der Gesellschaft der Musikfreunde in Hochform und sang sich über die pure Schönheit hinaus in Gefilde unerbittlichen Ausdrucks.

Flehentliche Rufe waren da auch zu hören, dann wieder überbordendes Glücksgefühl im vielleicht strahlendsten, heitersten „Credo“ der Musikgeschichte. Mozart rührt in seinem so kapital gescheiterten, dennoch wohl allerwichtigsten Versuch, das Ordinarium – aufbauend auf barocken Vorbildern – in Töne zu setzen, bewusst an Extremwerte.

Zwei Samt-Soprane, virtuos

Er fordert auch von seinen Solistinnen Unmenschliches: Malin Hartelius und Juliane Banse sind beide imstande, dieses in höchsten Koloraturhöhen und tiefsten Espressivo-Tiefen in humane Soprantöne umzumünzen. Im duettierenden „Domine Deus“ wird beglückend fühlbar, wie zwei exquisite Stimmen auch exponierte Phrasen in weichen Samt hüllen können. Zwei junge, schöne Herrenstimmen dazu, Martin Mitterrutzner und Ruben Drole – und die Feierstunde ist im wahrsten Sinn des Wortes perfekt. sin

Übertragung in Ö1: 6. 11. (11.03) – Konzerte im Musikverein: 4. 11.: Adams, Tschaikowsky, 5. 11: Mendelssohn, Strawinsky, Ravel

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2011)

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