Götterdämmerung: Furor teutonicus und Subtilitäten

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Franz Welser-Möst, musikalischer Leiter der Neu-Einstudierung von Wagners "Ring des Nibelungen", nimmt den Komponisten beim Wort. Eine mutige Walküre vom Format Eva Johanssons bietet dem Orchestersturm Paroli.

Der Schockwirkungen sind viele. Zuletzt fehlt auch noch die berühmte Generalpause, der wie auf einen langen Atemzug der wunderbare Eintritt des Erlösungsmotiv folgt. Dieses beschert dem Hörer in der Regel das hollywoodtauglichen musikalische Des-Dur-Happy-End. Schon Daniel Barenboim hat darauf hingewiesen, dass diese Lesart ein schweres Vergehen gegen den Buchstaben von Richard Wagners Partitur-Gesetz darstellt. Dort steht nichts von einem kollektiven Innehalten. Das Sieglinden-Thema aus der „Walküre", das der Komponist, der unausgesetzt die immergleichen Motive verwandelnd wiederholt, fünf Dramen-Akte lang aufspart, um es als Schlußpunkt der Tetralogie noch einmal hören zu lassen, blüht in Wahrheit aus den Trümmern der zu Schanden gegangenen Welt, hat aber Mühe, sich gegen das grollende Fortissimo, das in den Bässen noch versinkt, durchzusetzen.

So steht es geschrieben. So erklingt es so gut wie nie. Der umwerfende Effekt, den die geschönte, zur Tradition gewordene Version macht, ist Musikern, Dirigenten und Publikum zu sehr vertraut geworden, als daß einer darauf leichten Herzens verzichtete.

Akustische Überraschungen

Franz Welser-Möst, musikalischer Leiter der Neu-Einstudierung von Wagners „Ring des Nibelungen", nimmt den Komponisten lieber beim Wort. Die letzte der vielen akustischen Überraschungen, die seine Interpretation der „Götterdämmerung" beschert, ist denn auch jene Mühsal, die das Liebesthema aufzuwenden hat, um in den Geigen so recht die Oberhand über die Restbestände der eben stattgehabten Vernichtung zu gewinnen. Wer je gefragt haben mag, wieso denn die „Götterdämmerung" in derselben Tonart schließen kann, in der die Götter am Vorabend der Tragödie triumphierend nach Walhall gezogen waren - in die Burg, die nun in Schutt und Asche liegt - erhält hier die Antwort: Des-Dur ist nicht gleich Des-Dur.

Tremolo ist nicht gleich Tremolo, Arpeggien sind nicht gleich Arpeggien. Die Philharmoniker realisieren unter der Leitung des künftigen Wiener Generalmusikdirektors eine ihnen wohl bekannte Partitur mit wahrhaft unerhörtem Hintergrund-Wissen, wechseln innerhalb von Sekundenbruchteilen Farbwerte, Artikulation, Dynamik, verleihen ein und derselben Bewegung höchst unterschiedliche Ausdrucks-Qualität, wo Wagners Kunst fein modellierter Übergänge uns von einer Sphäre in die andere führt.

Motivische Detailarbeit

Die unmerklichen Verwandlungen der tönenden Szenerie, die sich etwa im Wechsel von der Nornen-Szene zum Liebesduett, und während Siegfrieds Rheinfahrt von der Brünnhilden-Musik zum dunklen Gibichungen-Klang ereignen, werden in dieser Aufführung zum fesselnden Ereignis, ziehen den Hörer in den Bann der orchestralen Erzählung. Die ist differenziert wie selten zuvor: Dem weit und sicher gespannten architektonischen Bogen entsprechen unzählige Nuancen motivischer Detailarbeit. Berichtet die Norn von den Vertrags-Runen in Wotans Speer, ritzen die Geigen dieselben mit Nachdruck ins musikalische Gewebe. Hinzu kommen Soli von traumhafter Klangschönheit, ein Klarinettenduett während der Verwandlungsmusik zur Waltrauten-Szene, das erste Anwachsen der Todesmusik in den unisono geführten Hörnen und Tuben an der Schwelle zum „Trauermarsch", um nur zwei von unzähligen Beispielen zu nennen.

Subtilstem Farbzauber stehen die Keulenschläge der dieserart ins Überreale gehobenen Kampf- und Streitmomente gegenüber. Der zweite Aufzug verdichtet sich unter Welser-Mösts Händen zum tönenden Furor teutonicus. Es gibt, lernt man da, eine philharmonische Wildheit von der nämlichen Qualität wie das viel gepriesene, harmonische Schönheitsideal dieses Orchesters. Und von der nämlichen Intensität.

Sänger von Format und in billigem Kostüm

Welcher Sänger könnte da bestehen, wo klingende Gewalt mit jener Unbedingtheit ausgereizt wird, die der Komponist seinen Theater-Streitern abverlangt? Am ehesten, den zwei, drei Opponenten sei das ins Stammbuch geschrieben, gelingt es einer mutigen Walküre vom Format Eva Johanssons, dem Orchestersturm Paroli zu bieten. Mag sein, die Künstlerin hat nicht ganz das Format, den gefürchteten Schlussgesang zur Primadonnen-Szene zu formen. Hiezu fehlt ihr vor allem die tragende Tiefe in Momenten wie dem weihevollen „Ruhe, du Gott". Doch die Attacke, die Johansson in höchster Lage über alle instrumentalen Anfeindungen hinweg die Oberhand behalten läßt, macht sie zur zentralen Figur im Geschehen. Wenn auch manches Signal für eine gefährliche Überbeanspruchung der Stimme schon hörbar zu werden droht, die Präsenz dieser Brünnhilde ist enorm. Vokal wie darstellerisch. In der Rächergestalt, die sie auch in Gebärde und Haltung zu zeichnen versteht, kulminiert das Drama, das Regisseur Sven-Eric Bechtolf diesmal mit Geschick arrangiert. Die Figuren sind prägnant gezeichnet. Der Hagen, dem Eric Halfvarson auch vokal nicht nur brüllend, sondern verschlagen und leise zu gestalten weiß, ist nur nach außen hin verwegener, unangefochtener Drahtzieher des Bösen, dirigiert Gibichungen wie seine Mannen. Vor dem Geifer seines intrigierenden Vaters Alberich, den Tomasz Konieczny exquisit charakterisiert, verschlägt es dem Helden der Finsternis die Rede. Er verliert seine Haltung, zuletzt angesichts des Mords an Siegfried offenbar auch den Verstand.

Fassungslos sieht der Gunther (wohltönend und genügend kräftig: Boaz Daniel) dem Treiben zu. Er selbst ist Marionette wie seine Schwester Gutrune, Caroline Wenborne, die Marianne Glittenberg in ein geradezu gemeingefährlich billiges Kostüm mit Straß-Besatz gezwängt hat. Unvorteilhafter kann man eine Sängerin nicht einkleiden.

Alle andern agieren im kargen - im zweiten Akt aber durchaus pittoresk von einer Stelen-Allee gebildeten Ambiente Rolf Glittenbergs unauffällig gewandet. Mihoko Fujimura kommt als traurige Walküre daher, singt ausdrucksvoll, nur in der letzten Steigerung leicht angestrengt. Siegfried, den Stephen Gould achtbar bis (im Finale) exzellent singt, stirbt in einem jener Boote, zwischen den zuvor die diesmal (wie übrigens auch die Nornen) gut konzertierten Rheintöchter neckisch herumgeturnt haben. Zuletzt antwortet Bechtolf, der den dramatischen Knoten im Mittelakt perfekt geschürzt hat, mit einer wahren Orgie von Lift-Fahrten. Woten mit dem zerborstenen Speer, die Rheintöchter und Hagen, Siegfried und Brünnhilde werden erhoben oder versinken bis zuletzt hinter Filmzuspielungen etwelcher Feuer- und Wasserspiele hinter dem Bild des wieder sanft fließenden Rheins ein Menschenpärchen auftaucht. Adam und Eva nach dem Untergang. Wagners Schluß lautet anders. Man hört ihn immerhin jetzt in Wien mit Nachdruck - und sieht während dieser „Götterdämmerung" mehrheitlich durchaus passende Bilder dazu. Ein Fortschritt, alles in allem.

Wann die Götter dämmern

■ Die Neuinszenierung des abschließenden „Ring“-Dramas durch Sven-Eric Bechtolf steht in der Staatsoper noch am 11., 14., 19. und 28. Dezember auf dem Spielplan. ■ Der Ring des Nibelungen wird komplett dreimal in dieser Spielzeit gezeigt: ab 5. bzw. 16. Mai sowie ab 6. Juni 2009.

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