Gottfried von Einem: Franz Kafkas ironischer Musikmeister

Gottfried von Einem: „Der Prozess“ und Orchesterwerke. beide Titel: Capriccio
Gottfried von Einem: „Der Prozess“ und Orchesterwerke. beide Titel: Capriccio(c) Beigestellt
  • Drucken

Im Gefolge des Jubiläumsjahrs 2018 erschienen ein Opernmitschnitt und eine Reihe von Orchesterwerken des österreichischen Unangepassten auf CD: Vervollständigung eines Komponisten-Images.

Das Jubiläumsjahr ist vorüber, aber das Interesse scheint geweckt: Die Musik Gottfried von Einems rückte um seinen 100. Geburtstag in den Fokus des heimischen Musiklebens; und das zog manche mediale Veröffentlichung nach sich. Unter anderem den Mitschnitt einer konzertanten Aufführung der Oper „Der Prozess“ bei den Salzburger Festspielen.

Das Werk war (wie das Durchbruchs-Stück „Dantons Tod“) bei den Festspielen zur Uraufführung gekommen. Doch manch zukunftsträchtige Aspekte in von Einems Musik wussten die Zeitgenossen (noch) nicht zu deuten. Vorkämpfer einer radikalen Moderne nach 1945 hielten ihn ohnehin für rettungslos rückschrittlich. Die anderen schätzen, dass seine durchwegs tonalen Kompositionen auch ein Abonnementpublikum nie verschrecken konnten.

Manche Stücke riefen sogar bei jeder Wiederbegegnung begeisterte Reaktionen hervor – beim Publikum wohlgemerkt, nicht bei der Kritik. „Applaustreibend“, lautete der Auftrag, den George Szell dem Komponisten einst gab. Darauf verstand sich Gottfried von Einem bestens.

Das RSO Berlin unter Johannes Kalitzke beweist es mit der entsprechenden Verve und spürbarer Laune anhand des 1944 entstandenen „Concerto für Orchester“. Da swingt der junge Stürmer und Dränger gegen den damaligen deutschen Zeitgeist an. Dem steht die 1982 vollendete Hommage an von Einems leiblichen Vater, den Grafen Hunyady gegenüber, ein ausdrucksvolles, in großen Atemzügen über ungarische Volkslieder improvisierendes Werk, das erstmals auf CD greifbar ist und den Katalog ebenso schön ergänzt wie die schwungvolle Streicherserenade op. 10 und das geheimnisvoll still singende „Nachtstück“ op. 29.

Mitreißend war die Salzburger „Prozess“-Aufführung, weil von Einems Student Heinz Karl Gruber mit dem Wiener RSO und dem konzentrierten Michael Laurenz als Josef K. eine kraftvoll pulsierende Wiedergabe erarbeitet hat, die dem illuster besetzten Uraufführungsmitschnitt (Orfeo) einiges voraus hat: Karl Böhm dirigierte den „Prozess“ damals als große Oper, durchaus pathetisch in manchen Momenten. Gruber kontert mit hintergründigen Aspekten und erweist, dass sein stets augenzwinkernd mit überraschenden Pointen aufwartender Lehrer auch bei Kafka einiges Ironie-Potenzial gefunden hat. Die Schluss-Szene, die zunächst tatsächlich gewaltig-tragisches Ausmaß anzunehmen scheint, mündet in einen poppigen Auftritt von Ilse Lorenz als Fräulein Bürstner, der die Doppelbödigkeit des Spiels schlagend erweist – Kafka soll beim Rezitieren seiner Texte ja zuweilen auch amüsiert in die Runde geblickt haben. Angehörs der beiden Neuerscheinungen müssen Musikfreunde nun nicht mehr ratlos zurückblicken . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.