"Innenschau": Ein Bett ist eine Sexpuppe ist ein Grab

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Die surrealen Szenen von „Innenschau“ sollten nicht verwundern. Der schwedische Regisseur Jakop Ahlbom hat eine Lehre als Zauberer hinter sich und schwärmt von den Filmen Stanley Kubricks und David Lynchs.

Was kann man auf einer Bühne nicht alles mit stabilen Schränken machen? Die müssen nicht nur einfach herumstehen wie Statisten in brav inszenierten Tragödien. Man kann sie tanzen und Tänzer dahinter verschwinden lassen, kann sie wie ein Magier im Varieté öffnen – sie sind leer; zu und auf und zu und auf – schon entspringen dem Möbel reihenweise zähneputzende Herren. Hilfe, das Ding lebt! Unsichtbare Hände versorgen die Männer mit Hemden, Anzügen und schließlich mit Schuhen.

Nichts bleibt, wie es scheint. Im Spiegel, vor dem sich ein Paar anzieht, sieht man einen halb nackten Mann. Wo kommt der her? Wo geht er hin? Aus einem Bett wird eine riesige aufgeblasene Sexpuppe, in die ein Tänzer vaginal rein-, aus der eine Tänzerin herausschlüpft. Dazwischen lugt voyeuristisch ein Zyklopenauge aus der Scham. Ist die Bar, in der sich Männer in Verzweiflung und Frauen im Flitter treffen, ein Coffeeshop? Wurden diese an Bilder von Hieronymus Bosch erinnernden Visionen durch verbotene Substanzen evoziert?

Die surrealen Szenen von „Innenschau“ sollten nicht verwundern. Der schwedische Regisseur Jakop Ahlbom, der seit Anfang der Neunzigerjahre in den Niederlanden ansässig ist, hat, falls das nicht auch eine Täuschung ist, eine Lehre als Zauberer hinter sich, er schwärmt von den Filmen Stanley Kubricks und David Lynchs. Entsprechend schräg ist sein eineinhalbstündiges Spiel geworden, das am Dienstag bei den Salzburger Festspielen im Republic Premiere hatte. „Innenschau“ rittert als eine von vier Produktionen im „Young Directors Project“, der Nachwuchsschiene des Festspieltheaters, um den „Montblanc YDP Award“.

Schwierigste Verrenkungen

Ahlboms aparter kleiner Thriller dürfte gute Chancen auf den Sieg haben; sein Spiel mit dem Unbewussten, mit Schein und Sein ist flott inszeniert, abwechslungsreich, prahlt mit schwierigsten artistischen Verrenkungen, mit einem Tabledance etwa, der jedem chinesischen Zirkus Ehre erwiese. Die Bilder sind einprägsam, die Szenen leben von Ablenkung. Sie wird durch die dunkle Bühne (Daniël Ament) begünstigt. Eine vierköpfige Band, „Alamo Race Track“, schmeichelt sich mit Pop ein, je vier tanzende Schauspielerinnen und Schauspieler sind ausgesprochen wortkarg. Wenn sie etwas sagen, sind es meist Fragen: „Und, wie gefällt es dir im Vakuum?“ Oder: „Are you so hypnotized?“ Das ist nicht viel. Aber sie vollführen andauernd Tricks. Man glaubt, ein Paar im Bett kopulieren zu sehen, doch dann ist die Frau plötzlich weg. Das wiederholt sich. Sie geht ab, während er es wie mit einem Luftgeist weiter treibt. Am Ende wird der Mann die Frau unter dem Leintuch finden. In der Erde? Die Matratze ist keine Matratze, sondern ein amorphes Dunkel, in das die Verschwundene eingebettet ist.

Das scheint fast logisch. Schließlich ist „Innenschau“ auch ein Kriminalfall, mit schönen Frauen, einem Stalker, traurigen Bürohengsten. Mit einem Paar, das sich wund schlägt, mit Detektiven, die nach einem Täter suchen. Aber in Verhören ist einmal ein langer Dünner der Gesuchte, ein andermal der Glatzköpfige, der zuerst die Untersuchung geleitet hat. „Sie sind zum falschen Ort gekommen“, heißt es einmal zur Verteidigung, aber in welchem Innenraum sind wir überhaupt? Vielleicht gibt die Szene Aufschluss, in welcher ein Mann eine Frau im Schlafzimmer überrascht. Er leuchtet ihr mit einer Taschenlampe ins Auge. Dort sind die „Träume, die bei Nacht entstehen“, singt die Frau, während sie entkleidet wird. Nackt steht sie da, dann aber wird ihr auch die Haut abgezogen. Darunter trägt sie ein rotes Kleid, es ist gar nicht blutig. So vielschichtig geht es in Herrn Ahlboms Kopf zu.

Young Directors Project

Vier Inszenierungen konkurrieren auch in diesem Jahr im Republic um den Montblanc YDP Award, der mit 10.000 Euro dotiert ist.

„Innenschau“: 29./30.7., 20h, bis 31.7., 16h

„Notre terreur“ (Regie: Sylvain Creuzevault, Paris): 4.–7.8., 20 Uhr

„Tod in Theben“ (Angela Richter, Hamburg/Berlin): 11.–13.8., 20 Uhr, 14.8., 15 Uhr

„Mary Mother of Frankenstein“ (Claude Schmitz, Belgien): 19.–22.8., 20 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2010)

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