"Notre terreur": Die Meute sucht ihr nächstes Opfer

Notre terreur Meute sucht
Notre terreur Meute suchtSalzburger Festspiele
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Das noch unfertige Revolutionsstück „Notre terreur“ von Sylvain Creuzevault im Rahmen des „Young Directors Project“: fröhliches Chaos.

Ein schreckliches Experiment war diese Französische Revolution von 1789: So viel Blut und Chaos, so viel romantisches Geplapper. Man könnte sich fast in britischen Vorurteilen bestätigt fühlen, dass der Franzose an sich beim Denken leicht den Kopf verliert. Es bedurfte eines korsischen Ganoven, um am am Ende der Aufklärung mit diesen philosophischen Schlampereien aufzuräumen.

Die erfrischende Pariser Theaterkommune „d'ores et déjà“ („Hier und jetzt“) aber, die am Mittwoch bei den Salzburger Festspielen im Republic ihr Stück „Notre terreur“ präsentiert hat, im Wettbewerb des „Young Directors Project“, setzt in ihrer Geschichte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vor Napoleon ein: 1793/94, in der irrsten Phase von Terror und Anarchie. Da wird besonders wirr gedacht und intensiv geblutet.

1794 ist ein ertragreiches Jahr: Danton, im April geköpft, erscheint im Stück nur als Albtraum. Die überlebenden Revolutionäre wollen (in einem reizenden Anachronismus) einen gewissen Herrn Büchner dingfest machen, weil der Dantons Tod so poetisch verklärt, dass das Volk abspenstig gemacht werden könnte. Aber es braucht keinen deutschen Dichter einer späteren Generation dazu, die Geschichte bahnt sich auch so ihre Logik des Schreckens. Jetzt geht es dem Oberterroristen (er hält sich für einen Ausfluss der Tugend) an den Kragen. Robespierre (von Eric Charon kalt und bürokratisch gespielt) wird am Ende, nachdem er sich eine Kugel in den Kiefer geschossen hat, von den lieben Kollegen guillotiniert, am 28.Juli 1794, einem Festtag. Das ist der bombastische Schluss nach über zwei Stunden übermütiger Anarchie von neun jungen Schauspielern und Regisseur Sylvain Creuzevault (*1982), einem Primus inter Pares.

So jung wie diese Truppe, im Schnitt knapp 30, muss man sich auch das Killerkommando vor zirka 210 Jahren vorstellen, das die besten Absichten der Aufklärung hatte. Aber dialektischen Rückschlag zeigt bereits der erste Auftritt: Saint-Just, ganz in Schwarz (von Vladislav Galard feurig und aggressiv gespielt), hält eine flammende Rede, bei der man nicht genau weiß, wann die Verehrung für Robespierre in Anklage umschlägt. Dieser Heilige lehrt das Fürchten: „Das Schwert des Unvergleichlichen gleicht dem des Ruchlosen“, sagt Saint-Just in hohem Ton, und man weiß: Diese Meute ist auf der Suche nach dem nächsten Opfer.

Jedes Handzeichen kann tödlich sein

Julia Kravtsova trägt mit ihrem Bühnenbild dazu bei, dass man die große Wende in der Weltgeschichte auch mit Aktualitätsbezug erleben kann. Unten auf der Bühne steht ein Konferenztisch für den inneren Kreis der Macht, den Wohlfahrtsausschuss. Die Generalstabskarte ist ausgebreitet, als Spitzer dient eine kleine rote Guillotine. Die Zuseher sitzen links und rechts vom Tisch auf Tribünen wie die Mitglieder des Nationalkonvents. Sie werden ermuntert abzustimmen, wenn wieder ein Konterrevolutionär exekutiert werden soll. Jedes Handzeichen kann tödlich sein. Der Tisch ist bereitet für neun Manager der Macht, wie man sie auch heute kennt: Juristen, Politiker, Militärs, Ökonomen, auch Dichter.

Worum geht es ihnen? Um den Fortschritt? Skrupellose Typen wie Barère, Carnot, Couthon, Vadier sind eher am eigenen Fortkommen interessiert. Ihr Krisenmanagement ist dilettantisch. Sie lassen Saint-Just ausreiten, um das Heer der Reaktion zu besiegen. Ihm wird ein Luftschiff mitgegeben – ein putziger blauer Ballon. Es ist köstlich, wie diese Buben über den Nährwert der Kartoffel diskutieren und logistische Unfähigkeit beweisen. Billaud-Varenne, der freizügig von seiner Frau gebackene Brioche verteilt, muss gestehen, dass die Gattin das liberale neue Recht genützt hat, um sich scheiden zu lassen. Gerne wären die Kollegen bereit, deswegen das Gesetz zu kippen, so, wie die eben erkämpfte Pressefreiheit ohne Umschweife geopfert wird.

Ja, sie sind skrupellos. Der Schlimmste ist Robespierre, der Idealist auf dem hohen Podest: „Ich bin der Einzige, der liebenswürdig ist!“ Er zitiert im Finale den Eröffnungsmonolog von Goethes Faust. Wahrscheinlich ist das so wie die Erwähnung von Büchner ein Impromptu für die Salzburger Zuseher, denn „d'ores et déjà“ sehen ihr Stück als „work in progress“. Sie rappen und singen sich durch diese Blutorgie, machen das Köpfen des Robespierre zum Kasperltheater. Es besteht kein Mangel an lustigen Einfällen, dennoch ist der Abend ein wenig anstrengend. Wegen der ständig überdrehten Sprache? Der zügellosen Spielweise? Welche Haltung haben sie zu 1789, 1968, 1989? Zynische Unvernunft? Ja. Revolution ist harte Arbeit. Selbst, wenn sie sich als Farce wiederholt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2010)

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