Albertina: Zeichnungen zimmern

(c) Robin Rhode
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Was kann Zeichnung heute? Eine Ausstellung in der Albertina versucht eine Bestandsaufnahme.

Die Zeichnung ist die früheste uns bekannte und zugleich intimste aller Kunstformen“, sagt die Künstlerin Aleksandra Mir. Die gebürtige Polin schwedisch-amerikanischer Staatsbürgerschaft, die zurzeit in London lebt, plaudert mit dieser Aussage auch aus dem Nähkästchen, ist doch die Zeichnung ein Hauptmedium ihrer eigenen Arbeit. Ihrer Beschreibung legt Aleksandra Mir eine nachgerade körperliche Auslegung des Zeichenakts zugrunde. „Sie wird allgemein als die Koordination von Geist, Auge, Hand und Werkzeug verstanden. Vereint zu einer Geste hinterlässt sie einen Abdruck ihrer Herstellung als Handschrift ihres Schöpfers, des Künstlers.“ So weit, so zeitlos. Doch der Schein trügt. So wie für Aleksandra Mir ist das Wissen um die Grundlagen einer der traditionellsten Kunstgattungen auch für viele andere zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler oft die Ausgangsbasis für Experimente und die Weiterentwicklungen des Mediums.

(c) Los Carpinteros

Wie diese Experimente heute ausfallen und wohin sich das Medium Zeichnung entwickelt, ist nun Thema einer großen Ausstellung der Albertina. Kuratiert von der Kunsthistorikerin Elsy Lahner, zeigt die Schau 36 aktuelle Positionen – darunter zehn aus Österreich –, die die Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt dokumentieren. Fast alle Künstlerinnen und Künstler sind in den 1960ern und 1970ern geboren. Aleksandra Mir ist eine von ihnen. „Mein Anliegen besteht darin, im Zeichnen die Grenzen des kleinen, einfach zu handhabenden Papierbogens zu überschreiten, hin zu einer größeren widerspenstigen Wirklichkeit, die zugleich Bühnenbild, choreografischer Tanz und improvisierte Performance ist.“

Die Energie der Hände. Ähnlich wie in den Werkstätten der Alten Meister hat sie die Umsetzung ihrer Skizzen seit mehreren Jahren an ihr Team delegiert und dieses dafür mit handelsüblichen Permanentmarkern ausgestattet. Bei der Ausführung kommen somit nicht nur verschiedene zeichnerische Handschriften zum Tragen. Die Künstlerin macht die Zeichnung auf diese Weise zugleich als eine soziale Handlung transparent, die zwar zum Teil durch ihre eigenen Vorgaben vorbestimmt ist, allerdings mehr noch von den „Energien und Persönlichkeiten der in den Prozess verstrickten Personen“ geprägt wird. „Obwohl meine Zeichnungen alle schwarz-weiß sind, so erreichen sie aufgrund der Energie und des Nebeneinanders der unterschiedlichen Hände, die sie schaffen, doch eine außergewöhnliche Reichhaltigkeit und Leuchtkraft“, sagt sie. „Wenn ich all dies allein zeichnen würde, wiese es eine durchgängige Gleichförmigkeit auf. Die Arbeit aus einem kollektiven Geist heraus ist eine Art und Weise, die Kontrolle abzugeben, Abwechslung in die Palette zu bringen und dadurch umso mehr bereichert zu werden.“

(c) Cordia Schlegelmilch

Die Arbeit im Kollektiv ist auch die Antriebsfeder für die kubanische Gruppe Los Carpinteros. Die „Zimmermänner“, wie ihr Name übersetzt lautet, haben sich der Darstellung realer Konstruktionen und Phänomene verschrieben, angefangen von Alltagsgegenständen, Inseln, Alleen und Häusern bis hin zu Tornados. Legosteine, Holzbalken und Ziegel sind dabei wiederkehrende modulare Elemente. Auch wenn die Blätter manchmal nur eine Vorstufe für Installationen und Objekte sind, bleibt die Zeichnung das Schlüsselmedium im Schaffen von Los Carpinteros. Ganz anders wiederum umkreisen Micha Payer + Martin Gabriel in großformatigen Buntstiftzeichnungen Fragen der individuellen Handschrift, Wiederholung und Differenz. Die Anregungen für ihre kaleidoskopischen Bildgeflechte holen sie sich aus den Naturwissenschaften, der Philosophie und Psychologie.

Dass das Medium Zeichnung längst nicht mehr an klassische Materialien wie Bleistift, Farbstift, Tusche, Pastell und dergleichen gebunden ist und auch das weiße Blatt Papier nicht mehr allein als Bildträger fungiert, dokumentiert ein anderer Strang. Alte Briefumschläge und Buchdeckel (bei Michael Borremans), Geschäftsbücher (Sandra Vásquez de la Horra), geritzte Wachsflächen (Toba Khedoori) oder geritztes Plexiglas (Mithu Sen) werden da ebenso zum Austragungsort der Zeichnung wie Wände (Dan Perjovschi, Constantin Luser, Lotte Lyon) oder sogar, im Fall von Fritz Panzers Drahtskulpturen, ganze Räume. Ein fast durchgängiges Thema ist Zeit mit ihren Implikationen Langsamkeit, Entschleunigung, Momentaufnahme. Sie ist den Werken bald selbst mit ihren oftmals langen Entstehungsprozessen und komplexen Chiffren eingeschrieben. Bald wird die Zeit auch zum Katalysator, um den Betrachter selbst miteinzubeziehen, wie bei den Street-Art-Zeichnungen des Südamerikaners Robin Rhodes.

(c) Julie Mehretu

„Die Ausstellung ist kein Statement zur Zeichnung“, sagt Kuratorin Elsy Lahner. „Und es geht uns auch nicht um Entdeckungen. ,Drawing Now: 2015‘ ist vielmehr eine Bestandsaufnahme, die versucht zu erklären, was Zeichnung heute alles sein kann.“ Damit schließt das Format, das in unregelmäßigen Abständen wiederholt werden soll, durchaus auch an jene legendäre Ausstellung der Albertina an, die vor 40 Jahren in Kooperation mit dem New Yorker MoMA unter demselben Titel einen Überblick über das damalige Who’s who der Zeichnung gab. Im Unterschied zu damals ist der heutige Blick aber kein westlich-amerikanischer mehr. Lahner: „,Drawing Now: 2015‘ ist aus einer europäischen Perspektive entstanden. Natürlich werfen wir auch einen Blick auf die USA ebenso wie auf andere Kulturen, etwa die indische, oder auf die österreichische Szene.“

Tipp

„Drawing Now: 2015“. Die Zeichnungsausstellung ist vom 29. Mai bis zum 11. Oktober 2015 in der Wiener Albertina zu sehen.

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