Michael Marcovici: Der Rattenfänger

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Er war einst Europas größter eBay-Händler. Heute produziert Michael Marcovici Kunst mit zynischen Konzepten. Ziemlich schamlos, ziemlich spannend.

Das Bürodesign ist puristisch, Aircondition ist obligatorisch. Und wenn das rote Licht angeht, beginnt das Trading. Dollar kaufen, Euro verkaufen, im richtigen Augenblick die richtige Taste drücken. Dann gibt es den edukativen Bonus – fettes Futter oder kurzen Stromstoß, einen ganz schwachen nur, versichert Michael Marcovici. In stylishen Glasstahlkäfigen trainiert er Ratten im Börsehandel, übersetzt ihnen die Kursentwicklung in unterschiedlich hohe Töne, die er ihnen dann einspielt. Und tatsächlich – „sie haben keine schlechtere Trefferquote als ein durchschnittlicher Fondsmanager, so 50,1 Prozent“.

Marcovici lächelt versonnen. Rund 30 Fonds haben ihn bereits wegen „Rattraders.com“, dem exklusiven, „professional service to the financial industry“, kontaktiert, darunter einer der größten US-amerikanischen Fonds, erzählt er. Wer weiß schließlich schon, ob es nicht gerade Rattenhirne sind, die in den Aktienkursen ein Muster erkennen können?

Seinen fröhlichen Zynismus hat sich der 1968 geborene Wiener ordentlich etwas kosten lassen. Sein gesamtes Vermögen nämlich. Anfang 2006 schlitterte er als größter europäischer eBay-Händler mit seiner Firma Qentis in den Konkurs. „Innerhalb von kürzester Zeit entwickelte sich ein gut gehendes Unternehmen mit einem Umsatz von 30 Millionen Euro zur Katastrophe.“ Marcovici stand mit zwei Millionen Euro Schulden da. Und tat endlich das, was er eigentlich von Beginn an tun wollte, meint er heute: als er 2001, wenige Tage vor 9/11, noch sein „Street Fashion“-Magazin gut verkaufen konnte. Und im daraufhin leer stehenden Wiener Büro begann, sich mit ein bisschen Internethandel seine finanzielle Startbasis aufzubessern. Für ein Leben als Künstler nämlich.

Kunst statt Schulden. Aus dem bisschen Internethandel, der mit einer Palette Taschenmesser begann, wurde bis zum bitteren Ende ein Unternehmen mit 80 Mitarbeitern, die pro Jahr 200.000 Produkte verkauften. Vom Motorrad bis zum Digicam-Chip, von der Dusche bis zur Waschmaschine. Produzieren ließ man in Asien, in China. Daher stammen die Kontakte, die Marcovici heute für seine Kunst nutzt. „Ein Fabrikant in China etwa schuldete mir noch 10.000 Dollar. Geld konnte er mir keines geben, aber er bot schließlich an, mir für 2000 Dollar etwas in einer seiner Fabriken zu produzieren. Ich war echt sauer auf ihn und dachte, dann lasse ich mir etwas machen, das sie alle ins Gefängnis bringt.“ So ernst hat Marcovici es dann doch nicht genommen. Wobei die Chancen nicht schlecht gewesen wären.

Das trojanische Tee-Schild. Das Corpus Delicti erstrahlt jetzt in Mao-Rot im Wiener Kunstsupermarkt „M-Ars“. Neun Edelstahlbuchstaben, produziert in einer Werbeschilderfabrik in China, die eigentlich dachten, sie werkten am Logo der Teemarke „Trebif Tee“, so lautete zumindest der Auftrag. Doch kaum in Wien aus der Transportkiste geschlüpft, fügten sich die Teile zu einem viel stärkeren Gebräu zusammen – „Free Tibet“ steht da jetzt an der Wand. „Ich hätte ihnen wahrscheinlich auch die richtige Vorlage geben können und sie hätten es nicht gecheckt. Erstens kein Englisch, zweitens ist die Free-Tibet-Aktion in China gar nicht bekannt“, erklärt Marcovici. Aber er hatte eben nur einen einzigen „Shot“. Da wollte er auf Nummer Sicher gehen.

Um 7500 Euro wird das Unikat jetzt angeboten, inklusive Transportkiste und „Trebif Tee“-Montage-Zeichnung. Ein subversiver Künstlerstreich? Ja, der aber eigentlich auf eine ganz andere Problematik aufmerksam machen will als auf die ideologische, die hinter dem Logo steht: „Die NGO-Szene ist heute schon selbst eine Industrie und verwendet für ihre Anliegen die Ressourcen ihrer Feinde – die Umweltschützer fliegen zu Demos, Tibet-Organisationen verwenden chinesische Internetleitungen oder Server. Das ist alles sehr unreflektiert.“

Wenige Gedanken macht Markovici sich aber auch über die eigene Rolle– ist er nun Künstler, Händler, Spekulant? Seine mittlerweile abgebrochene Ölgemäldeserie „1001“ etwa. Nach Motiven aus Lifestyle-Magazinen ließ er in China großformatige Bilder malen und verkaufte sie teurer weiter, auch über eBay natürlich. Kunst oder Kommerz? Im Kunstsupermarkt, in einer Galerie, im richtigen Umfeld wird es zur Konzeptkunst. Allein die Entwicklung dieser Serie ist ein Dokument des chinesischen Kunstbooms der vergangenen Jahre. Am Anfang, erzählt Markovici, bekam er nämlich tolle Qualität geliefert aus China, einige Maler, die heute Superstars des Kunstmarkts sind, kopierten damals für ihn seine Magazinausschnitte der Luxuswelt auf Leinwand. Nach und nach aber wurde die Qualität schlechter, bis er das Projekt überhaupt abbrechen musste: Chinas Kunstszene war erwacht, die jungen Maler verdienten sich plötzlich dämlich – mit eigenen Werken.

Geld. Damit hat der gescheiterte Internetgroßhändler allerdings keine Berührungsängste. Das macht seine Kunst so knallhart und schamlos (auch in ihrer teils naiven Referenz-Ignoranz, die der Autodidakt aber erst gar nicht verheimlicht). So verschickte er im Jänner etwa das Buch „How I used your credit card to pay for this book online“ an 100 Leute, deren illegal zwischengespeicherte Kontodaten er zuvor gemeinsam mit einer Internetseite gekauft hatte. Um 9,90 Dollar waren sie tatsächlich leichter. Dafür um eine erschreckende Erfahrung und ein signiertes Original reicher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2009)

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