Die Kunst der Gerüche

Smeller 2.0
Smeller 2.0(c) Gianmarco Bresadola (Gianmarco Bresadola)
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Es gibt Kunst zum Sehen, zum Hören, warum nicht auch zum Riechen? Der Künstler Wolfgang Georgsdorf hat eine Maschine gebaut, mit der er Duftkompositionen abspielen kann – und die Nacktheit riechbar machen will.

Wenn man Wolfgang Georgsdorf so zuhört, dann kommt es einem immer verwunderlicher vor, dass die Nase in unseren kulturellen Aktivitäten bisher keine größere Rolle gespielt hat. Es gibt Musik zum Hören, es gibt Kunst zum Sehen, es gibt Kunstformen für beide Sinne zusammen, doch zum Riechen gibt es kaum etwas. Dabei seien Gerüche extrem immersiv, sagt Georgsdorf, sie sprechen wie kaum ein anderer Reiz die Gefühls- und Erinnerungsebene an. Jeder, der einmal einen Duft vernommen hat und unweigerlich an einen Moment seiner Kindheit denken musste, kann das bestätigen.

Georgsdorf, ein in Berlin lebender österreichischer Künstler, der schon Kunst für alle möglichen Sinne geschaffen hat, will, dass auch das Riechen seine Kunst bekommt. Nicht nur als sensorisches Beiwerk zu bestehenden Disziplinen – (gescheiterte) Versuche, dem Kino eine olfaktorische Komponente beizufügen, gab es etwa schon einige –, sondern als eigenständige Kunstform. Osmodrama hat Georgsdorf sie getauft, „die Kunst der Inszenierung von Gerüchen als Sequenzen“. Die einzelne Komposition nennt er Synosmie. Riechbare Kunst sei in der Kunstgeschichte immer wieder ein Thema gewesen, erzählt er. Aber: „Es gab kein Instrument, mit dem man das verwirklichen konnte.“

Also hat Georgsdorf selbst eines gebaut. Smeller nennt er seine Geruchsorgel. Die erste Version entstand 1996, dann dauerte es einige Jahre, Mittel und Partner für die Weiterentwicklung aufzutreiben. 2012 war es so weit, mithilfe des Offenen Kulturhauses Oberösterreich und einer Förderung des Bunds baute Georgsdorf den Smeller 2.0, der bei der Ausstellung „Sinnesrausch“ im Oberösterreichischen Kulturquartier gezeigt wurde. Das Publikum kam, das Medieninteresse blieb aber aus, da half auch der Outstanding Artist Award nichts, der ihm von der damaligen Kulturministerin verliehen wurde.

Zimt, Zahnpasta, nasser Wald

Georgsdorf fragte bei österreichischen Ausstellungshäusern an, ob sie seine Maschine ausstellen würden. Sie winkten ab. Ein Grund: Der Smeller ist groß, wiegt eineinhalb Tonnen, Auf- und Abbau, Transport und Lagerung sind teuer. Das Gerät müsse aber so groß sein, um richtig zu funktionieren, erklärt Georgsdorf. In 64 Kammern liegen Duftstoffe, die – gesteuert durch einen Computer oder live gespielt auf einer Klaviatur – mit Frischluft vermengt in den Saal gehaucht werden. Dabei seien große Durchmesser wichtig, durch die die Düfte mit niedrigem Druck durch den Raum strömen können, einer nach dem anderen, ohne sich zu vermischen. „Kleine Durchmesser erzeugen Verwirbelungen, diese hauen uns alles durcheinander“, sagt Georgsdorf. Er nennt die vielen Mitarbeiter aus allerlei Disziplinen, die an seinem Projekt mitwirken, und die Firmen, die ihm Material zur Verfügung gestellt haben: Magnete, die sonst in Atomkraftwerken eingesetzt werden, Rotoren und Turbinen, mit denen man Flugzeuge fliegen könne, so groß seien sie. „Unser osmatischer Weltmalkasten“, nennt er die Maschine liebevoll.

Und sie funktioniert. In Berlin ist sie gerade im Rahmen des Osmodrama-Festivals im Einsatz. In einer Kirche ist eine zeltartige Konstruktion aus Ballonstoff aufgebaut, drinnen stehen Stühle, an der Stirnseite ragen die Rohre des Smeller 2.0 durch ein Metallgitter, dahinter zeichnen sich die krakenartig geschwungenen Schläuche der Maschine ab. Dann geht es los, die knapp einstündige Duftkomposition „Autocomplete“ steht auf dem Programm: Ein intensiver Zimtgeruch schiebt sich durch den Raum, gefolgt von etwas Blumigem, später riecht es nach Zahnpasta, Basmatireis, nassem Wald. Auch üble Gerüche drängen sich in die Komposition, etwas Süßlich-Fauliges, etwas, das an verbrannten Fisch erinnert. Gut einen Atemzug lang hält ein Geruch an, dann kommt der nächste. Man will mehr davon einatmen, schnappt nach Luft. Was war das, Räucherfleisch, Zirbenholz, Vanille? Die Intensität der Düfte benebelt das Gehirn, immer mehr Gerüche scheinen einem zu entwischen, bevor man sie überhaupt klar erkennen, gar benennen konnte.

Das sei auch gar nicht Ziel der Übung, sagt Georgsdorf. „Wir meinen die Dinge erkannt zu haben, wenn wir sie benennen. Lochen und Abheften, das ist der Reflex vom Gehirn. Das versuche ich in ,Autocomplete‘ zu unterbinden.“ Durch eine schnelle Abfolge von Gerüchen, die die Nase bewusst überfordert. Und durch das Fehlen jeglichen Kontexts: Wovon die Komposition erzählt, liegt in der Wahrnehmung des „Zuriechers“.

Mit dem Ekelreflex spielen

Dafür gibt es einen Rhythmus, wiederkehrende Motive, Kadenzen, Akkorde. Die Strukturen der Musik lassen sich auch auf Gerüche anwenden, meint Georgsdorf. Smellodies nennt er die kleinen Teile eines Werks. Mit Keyboards kann er steuern, wann, wie lang und wie intensiv ein Duft erströmen soll. In Zukunft will er auch Luftfeuchtigkeit und Temperatur variieren: „Es wirkt ganz anders, wenn es feucht und heiß kommt.“

Bleibt die Frage, wie Geruchskunst polarisieren und provozieren kann, wenn wir uns doch – im Gegensatz zu etablierten Künsten, wo viel Geschmackssache ist – weitgehend einig sind, was gut und was übel riecht. „Was wir Vorliebe oder Abneigung nennen, ist bei Gerüchen oft ein Reflex“, sagt Georgsdorf. In der Evolution der Lebewesen gebe es vier mögliche Reaktionen auf Gerüche: Fliehen, Angreifen, Fressen oder Paaren. „Wir wollen mit den Gerüchen jetzt auch spielen: mit dem Ekelreflex, mit der Anziehung.“ Und mit der ambivalenten Wirkung vieler Gerüche: So seien Katzenurin und schwarzer Ribisel „chemisch fast auf einer Ebene“, auch die Gerüche von Honig und getragener Unterwäsche, von Pferd und Tinte seien ähnlich aufgebaut. „Kunst entsteht aus der flirrenden Beidseitigkeit“, sagt Georgsdorf, und: „Es geht um die Erweiterung eines Betrachtungsfelds.“

Er schreckt auch nicht davor zurück, den Geruch, den er persönlich als den schlimmsten bezeichnet, in seine Komposition einzubauen: eine Mischung aus Buttersäure und Skatol, das nach verwesendem Fleisch riecht. „In der Musik haben wir Dissonanzen, um sie in Harmonien aufzulösen. Wir brauchen das, die Spannung und die Entspannung.“

Skatol und andere übel riechende Substanzen wie der Duft der Analdrüse des männlichen Bibers seien übrigens – wenn auch nur in Spuren – unverzichtbare Zutaten in der Parfümeurskunst. In ihr geht es normalerweise darum, Düfte zu erzeugen, die üble Gerüche übertünchen können. „Der Parfümeur ist der Schneider der olfaktorischen Burka, die die wahre Nacktheit des Riechens verschleiert“, sagt Georgsdorf.

In der bildenden Kunst habe man die Nacktheit schon immer sehen können. Nun soll man sie eben auch riechen.

ZUR PERSON

Wolfgang Georgsdorf, 1959 in Linz geboren, beschäftigt sich vor allem mit olfaktorischer Kunst. Sein Smeller 2.0 ist noch bis 18. 9. im Rahmen des Osmodrama-Festivals in der Berliner St.-Johannes-Evangelist-Kirche zu erleben. [ Georgsdorf]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2016)

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