Wiener Festwochen: Magie des Fremden

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Die Festwochen-Ausstellung „The Conundrum of Imagination“ wirft einen ungewohnten Blick auf das Zeitalter der Entdeckungen.

Der Wunsch, die Welt zu entdecken, prägt die Menschheitsgeschichte seit jeher. Was für Reisende die Sehnsucht nach der Ferne ist, wird aus Sicht von Herrschernationen zum Drang, Territorien zu unterwerfen. Die Karthager erkundeten um 500 v. Chr. Westafrika, die Griechen expandierten zwischen 380 und 310 v. Chr. in den östlichen Mittelmeerraum. Unter der Han-Dynas­tie wurde im zweiten Jahrhundert v. Chr. Zentralasien erforscht, die Wikinger stießen von 800 bis 1040 bis
zum amerikanischen Kontinent vor. Im 13. Jahrhundert erkundeten die Polynesier den Pazifik, die Chinesen 100 Jahre später Süd-, Südostasien sowie die Küste Afrikas.

Kolonialismus einst und jetzt. Von Brisanz, weil von aktueller Relevanz sind heute die Entdeckungsreisen der Neuzeit. Verbunden mit Namen wie Kolumbus, Humboldt, Cook, da Gama, Magellan, Vespucci und anderen haben sie die Kolonialisierungen der Neuzeit eingeleitet. Unter dem Titel „The Conundrum of Imagination (Das Rätsel der Imagination)“ greift die Hauptausstellung der Wiener Festwochen dieses „Europäische Zeitalter der Entdeckungen“ auf. 16 Künstlerinnen und Künstler hat Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung zusammen mit Kokuratorin Pauline Doutreluingne ausgewählt und mit Arbeiten beauftragt. Sie kommen zum Großteil aus Afrika sowie Mittel- und Zentralamerika – mithin aus Ländern, die selbst Teil der europäischen Kolonialgeschichte waren –, aber auch aus Europa wie Ines Doujak oder Ahmet Öğüt. Schauplätze der Ausstellung sind das Leopold-Museum sowie das Performeum, eine aufgelassene Ziegelhalle der ÖBB in der Nähe des Hauptbahnhofs.

„Die Künstlerinnen und Künstler, die wir eingeladen haben, interessieren uns, weil sie in verschiedenen Medien wie Skulptur, Installation, Zeichnung, Film, Fotografie und Performances sehr starke Bilder kreieren“, sagt Doutreluingne. „Für viele ist Kolonialismus zudem ein Teil ihrer Praxis, weil sie aus Ländern kommen, die kolonialisiert worden sind. In gewisser Weise sind sie also selbst Entdecker, die mit ihrer Kunst in die menschliche Psyche hineingehen und Stereotype aufbrechen.“

Der Venezolaner Marco Montiel-Soto etwa bezeichnet sich selbst als Reisenden. Für seine Kunst bricht er immer wieder zu Expeditionen auf. Für die Festwochen-Ausstellung hat er zwei Wochen in einer Pfahlbausiedlung im Maracaibo-See gelebt. Columbus hatte diese Region einst als „kleines Venedig“ bezeichnet, woraus der Name Venezuela hervorgegangen ist. Von den Spaniern wurde die Region von 1528 bis 1545 den Welsern überlassen, die auf der Suche nach dem Dorado ebendort Neu-Nürnberg gründeten. Aufgrund intensiven Gewittergeschehens hat schließlich die Nasa den Maracaibo-See 2016 zur Hauptstadt des Blitzes erklärt. Montiel-Soto nimmt diese Partikel zum Ausgangspunkt für eine poetische Installation, bestehend aus einer Hütte, Blitzen, Videos und Sound. „Ich reise durch Zeiten und Räume“, sagt er. „Aus den Mythen und Legenden, denen ich auf dieser Reise begegne, schaffe ich eine Fiktion.“

Zahlreiche Reisen durch Mittel- und Südamerika haben Ines Doujaks Interesse an kolonialen Themen geprägt. Kolonialismus ist für sie immer noch allgegenwärtig, „zum Beispiel in der Art, über Refugees zu reden“, wie sie sagt. Thema ihres Collagenzyklus „Skins“ ist der Einsatz von Hautkrankheiten als biologischer Waffe. Dafür hat sie historische Medizinatlanten zerschnitten und die Schnipsel zu Mutantenbildern zusammengefügt. „Ich will mit der Arbeit die spezielle Geschichte dieses Kolonialismus beschreiben“, sagt sie. „Die Haut ist für mich eine Grenze zwischen innen und außen, jede Wunde ist eine Öffnung.“

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Geschichtsumkehr. Abraham Oghobase aus Lagos wiederum geht für seinen Lithografiezyklus von einer historischen Fiktion aus
und fragt: „Was wäre, wenn Österreich Nigeria kolonialisiert hätte?“ In mehrschichtigen Bil­dern, die aus transparenten Folien, Fotografien, Details aus Google-Maps sowie Farblagen zusammengesetzt sind, führt er Landschaftsfotografien aus Nigeria mit Detailaufnahmen imposanter Salzburger Barockskulpturen zusammen und konstruiert daraus eine fiktionale historische Realität. „Ich bin neugierig“, sagt er, „mich interessieren das Prozesshafte der Lithografie und die Möglichkeit, mit ihr Geschichten zu erzählen.“

Tipp

Die Ausstellung mit Performances und Lectures findet von 18. Mai bis 18. Juni im Performeum und im Leopold-Museum statt.

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