Das „erste“ Haus der Geschichte eröffnet

(C) Niki Gail/ÖAW
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In St. Pölten präsentiert sich am Sonntag ein Geschichtsmuseum, das über die niederösterreichische Perspektive hinausgeht: anschaulich und interaktiv. Eine Sonderausstellung widmet sich der umstrittenen Ersten Republik.

In St. Pölten ist man sichtlich stolz. Im „ersten Haus der Geschichte Österreichs“ heißt man die Medienvertreter frohlockend willkommen – und lässt keinen Zweifel daran, dass man die parallel auch in Wien stattfindende Entwicklung eines Geschichtsmuseums durchaus als Wettlauf versteht. Während das HGÖ in Wien jahrelang still von Regierungsprogramm zu Regierungsprogramm wanderte, Vorstudien erstellt wurden, Historiker stritten und die Pläne ab 2014 – unter viel Widerstand – konkret wurden, ließ Erwin Pröll relativ rasch und ruhig ein eigenes Museum gestalten. „Wir waren als Erster fertig“, betont der wissenschaftliche Leiter Stefan Karner. Und meint auf die Frage eines Journalisten, ob es denn Verzahnungen zum Wiener Haus geben werde, dass dort das Konzept noch in Diskussion sei: „Womit soll ich mich denn da verzahnen?“

Gegenmuseen sollen es jedenfalls nicht sein. Die Sorge, dass an Donau und Traisen zwei parteipolitisch geprägte Häuser entstehen könnten, war seit der Ankündigung der Projekte groß – wurde aber stets von beiden Seiten bestritten. St. Pölten prescht nun gleich mit einer Sonderausstellung zur historisch umstrittensten Zeit vor: „Die umkämpfte Republik“ über die Jahre zwischen 1918 und 1938. Die begriffliche Debatte wird zum Ausstellungsinhalt, wenn auch unter klaren Vorzeichen: „Ständestaat“ (auch in der Ausstellung unter Anführungszeichen) heißt die Diktatur ab 1934 hier, der von manchen Historikern bevorzugte Begriff „Austrofaschismus“ kommt auf den vielen drehbaren grauen Tafeln vor, die dem Besucher die Positionen verschiedener Wissenschaftler, Schriftsteller, Politiker nahebringen. Davor hängt jenes Dollfuß-Porträt, von dem sich der ÖVP-Klub anlässlich der Umbauarbeiten im Parlament getrennt hat.

Alles andere als textlastig

Auf einzelne Ereignisse wird kaum eingegangen – überhaupt ist die Schau alles andere als textlastig –, dafür werden sehr anschaulich Stimmungen transportiert: Litfaßsäulen für jedes der drei politischen Lager – christlich-sozial, sozialdemokratisch, deutschnational – präsentieren Propagandaparolen; an einer Station kann man sich Lieder anhören, die „Internationale“, „Die Gedanken sind frei“, das „Dollfuß-Lied“. Eine gespaltene Gesellschaft wird hier hör-, seh-, fühlbar. Ansprechende interaktive Stationen veranschaulichen die Mechanismen von politischer Gewalt. Aber auch nicht politische Geschichte wird erzählt: Zwischen Heimwehruniform und von der Decke hängenden Schlagzeilen steht da etwa ein glänzendes Motorrad, eine technische Errungenschaft der Zeit.

Bunt, in der Gestaltung wie in der inhaltlichen Auswahl, ist auch die Dauerausstellung. Im Unterfangen, die gesamte Menschheitsgeschichte in ein paar Räumen darzustellen, wählten Karner und sein 95-köpfiger wissenschaftlicher Beirat einen spannenden Zugang: Statt eines chronologisch geordneten Rundgangs gibt es elf Themencluster – etwa zu Migration oder totalitärer Gewalt –, die ein vernetztes Denken fördern sollen und auch Bezüge zur Gegenwart herstellen. So wie diese solle sich auch das Museum laufend weiterentwickeln, sagt Karner: „Wir hätten vor fünf Jahren nie die Migrationsbewegungen in den Vordergrund gestellt.“ Nun steht ein Kinderwagen vom „Brünner Todesmarsch“ (1945) neben einem, mit dem Flüchtlinge 2015 in Nickelsdorf ankamen.

Lutherbibel und Holzbanane

Es ist eine dichte Schau, in der man sich leicht verlieren kann: Insgesamt 2000 Objekte auf 3000 Quadratmetern liefern Einblicke in das Leben in unterschiedlichen Zeiten. Zu sehen gibt es eine Lutherbibel von 1545, eine Holzbanane, mit der Kindern einst exotische Früchte veranschaulicht wurden, eine Vitrine über Volksfrömmigkeit im 18. Jahrhundert – mit Pentagramm und Alraunenwurzel gegen Dämonen. Größtes Objekt ist ein Wachturm, Relikt des Eisernen Vorhangs. Man kann auf einer Schulbank von 1892 sitzen und auf einem überdimensionalen Spielfeld ausprobieren, wie Bauern, Bürger und Grundherren einander zu verschiedenen Anlässen geneigt waren.

Eine Zeitleiste, die vom Beginn des Wirtschaftswunders ins Heute führt, hat drei parallele Schienen: Eine erzählt niederösterreichische, eine nationale, eine Weltgeschichte. „Es ist kein niederösterreichisches Landesmuseum“, hält Karner fest. „Es ist ein Haus für Österreich.“ Das die niederösterreichische Perspektive zwar durchaus in den Fokus rückt, dennoch aber ein internationales Publikum ansprechen will. Alle Texte gibt es auch in englischer Übersetzung, weitere Sprachen soll eine App liefern, die schon jetzt die sehr knapp gehaltenen Erklärungen um weitere Hintergründe ergänzt.

Drei Millionen Euro aus Landestöpfen flossen in das Museum, das sich mit dem Haus der Natur den Hans-Hollein-Bau im St. Pöltner Kulturbezirk teilt. Am Sonntag öffnet das „erste Haus der Geschichte“ mit einem Familienprogramm seine Tore. Das „zweite“ in Wien folgt dann 2018.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2017)

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