Leopold-Museum: Der große Einheits-Hodler

Er liebte auch sich selbst: Rund 150 Selbstporträts fertigte Hodler an, hier eines von 1891.
Er liebte auch sich selbst: Rund 150 Selbstporträts fertigte Hodler an, hier eines von 1891. (c) Musée d'Art et d'Histoire Geneva
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Die bisher größte Ausstellung des Schweizer Starmalers seiner Zeit, Ferdinand Hodler, in Österreich ist eine würdige Rückkehr: in die Stadt, in der Hodler 1904 seinen internationalen Durchbruch hatte. Auf Einladung von Gustav Klimt.

Beginnen wir am Ende. Es ist der intensivste Moment der großen Ferdinand-Hodler-Ausstellung im Leopold-Museum, die heute eröffnet. Vielleicht der emotional intensivste Moment, den man zur Zeit überhaupt in einer Wiener Ausstellung erleben kann. Hodler, dieser aus einer armen Berner Familie stammende erste Malerstar der Schweiz (1852–1918), traf den Tod schon früh: Seine ganze Familie starb an Tuberkulose im Lauf seiner Jugend. Seine Mutter brach neben ihm auf dem Feld tot zusammen, als er 14 war. Als alter Mann, mit 62, musste er dann zusehen, wie seine große Liebe stirbt, nicht seine ihm ergebene Frau Berthe, die ihn weit überleben wird, sondern die Tänzerin Valentine Godé-Darel, die ihm gerade Tochter Paulette geboren hatte.

Ihr Dahinscheiden, sie hatte Krebs, muss eine Obsession für ihn gewesen sein, die er mit Kunst zu bewältigen suchte: 1914/1915 schuf er 200 Skizzen, 130 Zeichnungen, 50 Ölbilder und seine einzige Büste von der sterbenden Valentine. Diese Bilder füllen das „Sterbezimmer“, den letzten kleinen Raum der größten Hodler-Ausstellung, die Österreich bisher sah. Aber der Raum ist eine Sackgasse. Hier hätte man die Besucher auch nicht entlassen wollen, sagt Hans-Peter Wipplinger, Direktor und Kurator. Also tritt man wieder hinaus, in den Saal der letzten Landschaften, die Hodler gemalt hat: immer wieder den Genfersee, eben das, was er aus der Wohnung sah, die der Lungenkranke nicht mehr verlassen konnte. Mit dicken Strichen legte er Schichten aus Wasser und Licht übereinander, blau, gelb, blau, gelb. Der gezackte Gebirgsstreifen dazwischen wirkt wie der Umriss des aufgebahrten Körpers Valentines in seinen letzten Zeichnungen von ihr.

„Je mehr ich selbst der großen Einheit mich nähere, desto größer und einfacher soll meine Kunst werden“, hielt er dazu fest. Am 19. Mai 1918 ging er dann ein in diese Einheit mit der Natur, die er in Harmonie mit dem Menschen sehen wollte. Nur wenige Wochen davor war Gustav Klimt gegangen, der Hodler durch seine Einladung zur 14. Secessions-Ausstellung 1904 zu dessen internationalem (und finanziellem) Durchbruch verhalf („Wien hat mich aus dem Dreck geholt“). Wenige Monate später ging Egon Schiele, der Hodler verehrte und sich von ihm inspirieren ließ, wie ein Kapitel der Ausstellung zeigt, zum Beispiel in der Psychologisierung der Natur. Und noch ein enger Wiener Freund folgte Hodler nach, Koloman Moser, der zwar mit der Theorie des „Parallelismus“ des Schweizers, nach der man die Raster, die Linien, die Ordnungen der Natur betonte, wenig anfangen konnte. Aber u. a. die Hodler-Ausstellung 1904 in der Secession kuratierte.

Nur wenige dieser damals hier so gefeierten Gemälde konnte man jetzt wieder nach Wien bringen. Dafür das damalige Hauptwerk, den an der zentralen Wand prangenden großen „Wilhelm Tell“, frisch restauriert, der in seiner hollywoodesken Brachialität heute fast unfreiwillig komisch wirkt; er war ursprünglich für die Fassade des Schweizer Landesmuseums gedacht, das erklärt einiges. Fasst das Hodler-Klischee, das man im Allgemeinen so hat, aber natürlich bestens zusammen: monumental, national, hart.

Dirty Campaigning gegen Hodler

Das gibt es in der Ausstellung natürlich auch, der Vergleich mit den dunklen, schweren Sensenschwingern Egger-Lienz' lässt einen aber verstehen: Hodler war heller, ornamentaler, im Spiritualismus seiner Zeit verhafteter. Daher auch schwer angesagt bei den Kritikern, was Egger-Lienz dermaßen ärgerte, dass er einen Lohnschreiber beauftragte, boshafte Texte über Hodler zu veröffentlichen. Hätte er nicht nötig gehabt. Und kam bei der Wiener Gesellschaft, in der Hodler bestens vernetzt war, gar nicht gut an.

Hodler malte einfach weiter, seine (vielen) Frauen, alte (arme) Männer, Berge und Seen, symbolistische Visionen voll tanzender, eurythmisierter Leiber. Oft ließ er Gemälde fotografieren, um an den Fotos Änderungen auszuprobieren, bevor er sie auf die Leinwand übertrug. Einige dieser Fotos sind hier zu sehen. Diese wissenschaftliche Vorbereitung zeichnet diese Ausstellung aus, die doch eine von vielen Hodler-Ausstellungen in jüngerer Zeit ist (zur Zeit läuft eine in der Bundeskunsthalle Bonn): Eineinhalb Jahre hat man gemeinsam mit dem Archiv des verstorbenen Hodler-Forschers Jura Brüschweiler gearbeitet, um speziell die Beziehungen zu Wien aufzuarbeiten. Basisforschung, der man potente Leihgaben verdankt, u. a. konnten Teile der Wohnung rekonstruiert werden, die Josef Hoffmann für Hodler ausstattete.

Es ist jedenfalls eine würdige, bedenkenswerte, sehr empfindsame Rückkehr dieses Vielgeliebten nach Wien – am Vorabend der 100-jährigen Wiederkehr des großen Schicksalsjahrs der Wiener Kunst, 1918.

Bis 22. Jänner. Tägl. außer Di: 10–18 Uhr, Do. bis 21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2017)

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