Belvedere: Freie Radikale gegen das Anti-Aging

So lieben wir unsere Alten: „Free and wild“, mit Accessoires der Jugendlichkeit versehen. Ist sie auch noch Künstlerin wie hier Louise Bourgeois – fotografiert 2001 von Herlinde Koelbl –, hat sie noch dazu beste Chancen auf die „große Entdeckung“ und „späte Karriere“.
So lieben wir unsere Alten: „Free and wild“, mit Accessoires der Jugendlichkeit versehen. Ist sie auch noch Künstlerin wie hier Louise Bourgeois – fotografiert 2001 von Herlinde Koelbl –, hat sie noch dazu beste Chancen auf die „große Entdeckung“ und „späte Karriere“.(c) Koelbl
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Während wir auf den jüngsten Kanzler aller Zeiten warten, betrachten wir bärtige Männer und faltige Frauen und fragen: Was hat uns bloß die Kraft des Alters so ruiniert?

Wir treffen es nur selten auf Twitter, auf dem Flughafen, im Fernsehen, bei Starbucks. Aber das Alter trifft uns ziemlich sicher irgendwann. Bis dahin versuchen wir, es uns mit Leibeskräften vom Hals zu halten. Allgemeinplätze. Aber warum ist das so? Diese Kunst der Verdrängung sei der Verlust der Kunst der Sublimierung, erklärt Philosoph Robert Pfaller die Alterspanik der Postmoderne. Seit dem Verlust der „großen Erzählungen“, schreibt er in einem Essay für die Ausstellung „Die Kraft des Alters“ im Unteren Belvedere, sind wir kleine, überempfindliche Mimimi-Subjekte geworden.

Schon das Geringste werde uns so unerträglich, meint Pfaller, eine „Kultur der Beschwerde“, der Infantilisierung breite sich aus. Was bewirke, dass wir nicht mehr wie früher fähig sind, die Widrigkeiten des Lebens zu sublimieren. Gefahren als Herausforderungen zu nehmen, das Alter als etwas Würdiges und Weises zu feiern. Oder als Freiheit von vielerlei Zwängen, wie es US-Malerin Aleia Chapin zeigt, in einer Szene, die nicht zufällig nach Hippiezeit aussieht, als das Alter laut Pfaller ein letztes Mal noch wirklich alt sein durfte: Ein Rudel nackter alter Frauen balgt sich hier lachend auf der Erde. Hier muss nicht mehr gehungert, geposed und gepostet werden.

Wer derlei Selbstbestimmung scheut, sollte sich seinen Ängsten stellen und in diese Ausstellung gehen. Kuratorin Sabine Fellner nimmt einen auch dementsprechend liebevoll an der Hand und führt einen nicht nur durch die Altersvorstellungen eines guten Jahrhunderts, von 1900 bis heute, sie umarmt einen dabei auch immer wieder tröstend: Kapitel für Kapitel versucht sie, uns zu ermächtigen, Vorzüge des Älterwerdens zu erkennen, zu formulieren. Am Ende, vor den zuckenden tanzenden Pensionisten aus Pina Bauschs „Kontakthof“, vor Jürgen Tellers Aufnahmen der völlig gelösten, splitternackten Vivienne Westwood, ahnt man: Das kann zum Schluss noch echt wild werden.

Nur junge Alte sind gute Alte

Womit man schon wieder in die Gewohnheit verfällt, das Alter jugendlich zu konnotieren, ihm keine eigenen Qualitäten zuzuschreiben. Man findet sie lustigerweise beim Blick retour: etwa in Büchern zu versinken, wie Hugo Koller in Egon Schieles Porträt. Umgeben von absoluter Ruhe und Schönheit sitzen zu dürfen, wie die Mutter der Malerin Broncia Koller-Pinell. Die übrigens selbst im Alter eine ziemlich lässige knallrote Federhaube getragen hat, wie ein Gemälde von Karl Hofer von 1921/22 zeigt. Ein irgendwie maskulines Bild, seltsam intensiv. Wie viele der rund 190 Werke hier. Diese Ausstellung wird wenige kaltlassen, sie holt jeden irgendwo ab, sogar den alten Mann mit seinem Drang zum ewigen Leben in Form der jungen Frau, die ihm durchaus auch körperlich zur Last werden kann, wie der Maler Johannes Grützke es in einem recht brutalen Schinken von 1989 zeigt.

Die Ausstellung ist ein sanfter, aber prinzipieller Protest gegen unsere eintrainierte, einseitige (Pfaller meint: neoliberale) Sicht auf das Alter (nur junge Alte sind auch gute Alte); sie ist eine ästhetische Ansage gegen diese Ideologie des Anti-Agings. Das scheint einen Nerv zu treffen: Auch in Deutschland wird das Altern gerade – Zufall? – in einer großen Gruppenausstellung im Weltmuseum Hannover durchdekliniert. Die Wiener Ausstellung aber hat sich mehr vorgenommen, möchte unseren Blick auch für die unterschiedlichen Altersdarstellungen der Geschlechter schärfen, die einander wohl immer ähnlicher werden, vor allem in Bildern der bezaubernden Fragilität des nackten alten Körpers. Eric Fischl malte das wie kein anderer: „Fragilität ist ein Moment der Selbstreflektion“, heißt die Szene in warmem Licht, in der ein nackter, weißhaariger Mann ohne jegliche Hinfälligkeit, aber zögerlich einen Gang entlangtapst.

Diese Vorstellung macht den strengen weißhaarigen Patriarchen in Tina Barneys Fotografie eines eindeutig mächtigen alten Vaters mit seinen hinter ihm verschwimmenden Söhnen um einiges erträglicher. Es kommt aber auch zu irritierenden Brücken zwischen den Zeiten: So war es um 1900 (und zuvor) für Männer sozial dienlich, eher älter zu wirken, mit Bart, Kleidung etc. Alter bedeutete schließlich sozialen Status, bürgerliche, finanzielle Sicherheit.

Die heutige Hipster-Bartbewegung konterkariert das wohl nicht unabsichtlich. Jedenfalls ist es ein spielerischer Umgang. Die weibliche Version davon existiert nicht. Schon um 1900 hatte die Frau jung zu sein. Außer sie war Künstlerin, sie stellte sich – wie Käthe Kollwitz es tat – in ihren Selbstporträts seltsam alterslos dar, also immer gleich alt. Für Künstlerinnen nämlich gilt lustigerweise, was für Männer gilt: Je älter, desto erfolgreicher. Siehe Louise Bourgeois, Maria Lassnig. Aber auch die nächste Generation, in Österreich etwa Renate Bertlmann und Margot Pilz, werden jetzt endlich sichtbar. Mit ihrem „Alterswerk“. Das sind dann die Karrieren, die enden, wie der von Robert Pfaller zitierte Woody Allen sich das ideale, weil umgekehrt verlaufende Leben vorstellt: mit einem (künstlerischen) Orgasmus.

Unteres Belvedere, bis 4. März, täglich 10–18, Fr bis 21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2017)

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