Schnitzlers Haus und Sisis Haare

Auf den Dachböden Wiens machte die Deutsche immer neue Funde. Bild: Kaiser Franz Joseph und seine Brüder (von links) Carl Ludwig, Ludwig Victor, Franz Joseph, Maximilian.
Auf den Dachböden Wiens machte die Deutsche immer neue Funde. Bild: Kaiser Franz Joseph und seine Brüder (von links) Carl Ludwig, Ludwig Victor, Franz Joseph, Maximilian.(c) Katalog
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Ausstellung. Historikerin Brigitte Hamann, bekannt u. a. für ihre Bücher über Kronprinz Rudolf oder Hitler in Wien, hinterließ „Zeitkapseln“ – zu sehen in der Wienbibliothek.

Wann hat Kaiserin Elisabeth, die Frau des vorletzten Herrschers des Habsburgerreiches, die am 10. September 1898 in Genf ermordet wurde, zum letzten Mal ihr Haar richten lassen? Auf einem Zettel im Nachlass der im Jahr 2016 verstorbenen Historikerin Brigitte Hamann, der in einer Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus zu sehen ist, findet man die exakte Antwort. Handschriftlich hat Hamann notiert: „K. Elis. zu Haarpflege: letzter großer Haarwaschtag am 7. 9. 1898 in Caux b. Montreux.“ Darunter steht knapp: „Erl.“ Dieses Faktum war für die Wissenschaftlerin also erledigt. Daneben sieht man in einem Schaukasten eine Postkarte nach einem Gemälde der Kaiserin mit ihrem legendären wallenden Haar in der Blüte ihres Lebens.

Hamanns Notiz ist nur ein winziges, aber typisches Detail zu ihrer Arbeitsweise. Sie liebte es, sich in Quellen zu versenken, um Geschichte(n) auf den Grund zu gehen, statt bloß Sekundäres aufzubereiten. Sie war zudem eine passionierte Sammlerin, die unablässig bei Auktionen, in Antiquariaten und auf Flohmärkten nach neuen Funden suchte. Für die aus Deutschland stammende Autorin wurde Österreich dafür ein ergiebiger Jagdgrund. Hier sei es eine Freude, Historiker zu sein, meinte sie in einem autobiografischen Text, der in einem Fax von 1995 erhalten ist: „Öffentliche wie private Archive sind bis zu den Dachböden vollgestopft mit oft noch ungesichteten Quellen . . .“ Man müsse eben nur den richtigen Spürsinn haben. Vor allem mit dieser Einstellung und mit großer Hartnäckigkeit lassen sich zum Beispiel Dokumente des Forschers Ferdinand von Hochstetter aufspüren, der Kronprinz Rudolf naturwissenschaftlichen Unterricht gab. So kommt man auch dazu, die Gedichte von Kaiserin Sisi aufzuarbeiten, die sie zu Lebzeiten in eine Kassette mit der Anweisung gegeben hat, diese sehr persönliche „Zeitkapsel“ erst in 60 Jahren zu öffnen. Historiker, die Sensationelles erwarteten, fanden dann 1950 kaum Interesse für die lyrischen Ergüsse der Kaiserin, aber Hamann stand Jahrzehnte später bereit, um das poetische Tagebuch als Erste intensiv zu erforschen und für die Biografie zu nutzen.

Die leidenschaftliche Sammlerin

Zur Verbreitung profunden Wissens über das Habsburgerreich in den Jahrzehnten vor seinem Untergang hat Brigitte Hamann wahrscheinlich mehr beigetragen als die meisten ordentlichen Universitätsprofessoren (von einigen längst vergessenen Kollegen wurde sie, wohl auch wegen ihrer Popularität, diffamiert). Ihre Bücher sind Longseller, beginnend mit ihrer Dissertation von 1978 über Kronprinz Rudolf. Es folgten unter anderem Werke über Kaiserin Elisabeth, Hitler in Wien und Winifred Wagner.

Mit welch leidenschaftlicher Akribie die 1940 in Essen geborene, nach ihrer Heirat mit dem Historiker Günther Hamann 1965 in Wien lebende Historikerin ihre Arbeit betrieben hat, kann man in dieser Ausstellung ausgiebig studieren. „So schön kann Wissenschaft sein! Zeitkapseln aus der Sammlung Brigitte Hamann“ wurde von Marcel Atze, dem Leiter der Handschriftensammlung, und seiner Mitarbeiterin Kyra Waldner kuratiert. Die beiden Bibliothekswissenschaftler sind auch die Herausgeber eines großen Begleitbandes (Amalthea).

Zur Sammelleidenschaft: Hamann hatte der Wienbibliothek ihre historische Sammlung bereits zu Lebzeiten hinterlassen. Als die Schwerkranke die Wohnung in der Tallesbrunngasse vor zwei Jahren verlassen musste, rückten Mitarbeiter der Bibliothek aus, um Manuskripte, Archivalien, Sammlerstücke und Bücher zu sichten und Teile davon einzupacken. Auch nach recht restriktiver Auswahl wurde ein Lkw bis zur Belastungsgrenze gefüllt.

Ein erstes Ergebnis der Aufarbeitung dieses Nachlasses ist nun eine Schau, die Dutzende Schlaglichter auf ein Forscher- und Sammlerleben wirft. Sie ist auf nur einen Gang im Rathaus beschränkt, der Autorin naturgemäß generell sehr gewogen, aber erstaunlich vielfältig und informativ. Man kann einen Villenkauf des Schriftstellers Arthur Schnitzler im Jahr 1910 nachvollziehen (Verkäuferin war die kurz zuvor verwitwete Burgschauspielerin Hedwig Bleibtreu); man kann Kaiser Maximilian, den Bruder von Kaiser Franz Joseph, mithilfe des Tagebuchs seines Kammerdieners nach Mexiko begleiten (wo Maximilian erschossen wurde); man kann auch mit dem Jazzmusiker Friedrich Szanto 1938 ins Exil nach Shanghai reisen. Dutzende Berühmtheiten haben Platz in diesem Querschnitt: Bertha von Suttner, Richard Strauss, Alexander von Humboldt . . . Ein feines Netzwerk des 19. und 20. Jahrhunderts.

Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett, Eingang Felderstraße. Freier Eintritt. Bis 26. Januar 2018, von Mo bis Do: 9–18.30 Uhr, Fr: 9–16.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2018)

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