Mumok: So wird Bruno Gironcoli nahbar

 Bruno Gironcoli nannte seine Zeichnungen „Flächen von Überlegungen“: Er probierte mit ihnen bildhauerische Möglichkeiten aus, die dann oft nicht umzusetzen aren. Hier eine Arbeit ohne Titel aus dem Jahr 1964.
Bruno Gironcoli nannte seine Zeichnungen „Flächen von Überlegungen“: Er probierte mit ihnen bildhauerische Möglichkeiten aus, die dann oft nicht umzusetzen aren. Hier eine Arbeit ohne Titel aus dem Jahr 1964.(c) Mumok
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In einer großen Retrospektive werden monumentale Skulpturen Gironcolis mit dessen zeichnerischem Werk konfrontiert. So versteht man manches besser.

Im Sommer stehen hier bunte Sitzgelegenheiten, zu Weihnachten Punschstände – und jetzt plötzlich merkwürdige Skulpturen. Farblich bestens dem grauen Wetter und der grauen Fassade des Mumok angepasst, irritieren diese Objekte mitten im Museumsquartier. Sie sind Teil der Retrospektive auf Bruno Gironcoli (1939–2010). Er war einer der eigenwilligsten Künstler des Landes, in seinem Werk hat er sich einen Privatkosmos von Symbolen aufgebaut, die für das Weibliche, Sexualität, für Obsessionen stehen. 2003 stellte er im Österreichischen Pavillon der Biennale Venedig aus, damals erwartete man internationalen Erfolg. Der aber blieb aus – bis heute. Grund dafür ist sicher die enorme Schwere dieser Skulpturen, inhaltlich und materiell.

Jetzt also wagt sich das Wiener Museum moderner Kunst an Gironcoli. Aber wie kann ein Museum ein Werk ausstellen, das aus oft tonnenschweren, bedeutungsüberladenen Skulpturen besteht? Wie passen dessen Monumentalobjekte in die weißen Räume des Mumok, ohne sich gegenseitig niederzuschreien? Gar nicht! Darum ist diese Personale auch anders angelegt als jene 1997 im MAK und 2013 im Belvedere.

Abstrahierte Köpfe

Aber das ahnt man im Hof noch nicht. Und auch nicht in der Eingangsebene. Denn den Auftakt machen genau jene bedeutungsüberladenen Objekte, die Angst auslösen können. Warum kreisen diese liegenden weiblichen Babys um ein Flöte spielendes männliches Baby? Wieso stehen diese Skulpturen auf altarähnlichen und zugleich mechanisch wirkenden Konstruktionen? Eine Anleitung für das Verständnis findet man auf der zweiten Ebene. Hier führt die Ausstellung in den Gironcoli-Kosmos ein, mit den Polyesterskulpturen, die an sachliche Objekte erinnern, aber tatsächlich abstrahierte Köpfe sind.

Damals dominierte noch Fritz Wotrubas Stil die Bildhauerei. Skulpturen thematisierten den menschlichen Körper und hatten auf Sockeln zu stehen. Gironcoli suchte andere Lösungen, stellte seine groben Objekte auf den Boden. Bald begann er installative Formationen, die aus mehreren Objekten bestehen. 1975/76 entstand die knallgelbe Formation, in der Sockel auf Sockel gestapelt ist, darin Toilettenschüsseln, davor Ähren, darauf eine Madonna – hier hat er die Installationen verdichtet. Als er 1977 als Professor der Akademie riesige Atelierräume erhielt, begann er die für ihn heute so typischen Monumentalskulpturen.

Dieser Weg ist im Mumok nachvollziehbar. Denn flankiert sind die frühen Objekte von 150 Papierarbeiten, die teilweise überfordernd dicht gehängt sind. Zwar hatte sich Gironcoli gegen eine solche Nähe der beiden Werkgruppen gewehrt, seine letzten Papierarbeiten sind von 1992, danach sah er sich nur noch als Bildhauer. Doch schlägt gerade diese Kombination einen anderen Blick auf ein Werk vor. Gironcoli nannte seine Zeichnungen „Flächen von Überlegungen“, in ihnen probierte er bildhauerische Möglichkeiten aus, die so nicht umzusetzen waren. Vor allem aber sind seine Erzählungen hier viel einfacher zu verstehen als in den verdichteten Skulpturen. Dank der Kombination beider Medien versteht man diese merkwürdige, gebogene Form, die immer wieder auftaucht: Es ist eine liegende Figur, das klassische Thema der Bildhauerei. Nicht alles löst sich so leicht auf, vieles bleibt rätselhaft, aber weniger monumental, weniger überwältigend – und nahbarer. Vielleicht kommt so die längst fällige internationale Anerkennung?

Bruno Gironcoli, Mumok, Museumsquartier, bis 27. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2018)

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