Lentos: Schiele und die Zahnarzttochter

Mehrmals stach Trude Engel auf das Porträt ein, das Egon Schiele von ihr fertigte. Das Linzer Bild wurde jetzt neu untersucht.
Mehrmals stach Trude Engel auf das Porträt ein, das Egon Schiele von ihr fertigte. Das Linzer Bild wurde jetzt neu untersucht.(c) Lentos
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Mehrmals stach Trude Engel auf das Porträt ein, das Egon Schiele von ihr fertigte. Das Linzer Bild wurde jetzt neu untersucht.

Es ist ein seltsames Bild, eines der seltsamsten in Egon Schieles Werk. Im rotbraun-düsteren Porträt der „Trude Engel“ kommen biografische Geschichten, Mythen und Klischees rund um den Wildesten der wilden Wiener Expressionisten zusammen. Schaut ja eigentlich ganz züchtig aus, wie es da als Herzstück der Lentos-Jubiläumsschau zum 100. Todestag von Klimt, Schiele und Kolo Moser im Raum der Gemälde hängt: der Schlafzimmerblick des Gesichts eher dumpf als verlockend, die dunkle Lockenmähne eher drahtig als schmeichelnd.

Aber – war das Kleid ursprünglich einmal hochgeschlagen, gab es den Blick frei zwischen die Beine der Wiener Zahnarzttochter? Die, folgt man den bisherigen Datierungen 1911, damals erst zwölf Jahre alt war? So schaut sie auf dem Gemälde allerdings nicht aus, viel älter, eher Femme fatale als Lolita, eine interessante Volte in Schieles auf kindliche Sexualität konzentriertem Werk der damaligen Jahre. Jedenfalls, so die Legende, soll Trude ihr Bild (von Schiele anstelle der Bezahlung für ärztliche Dienste des Vaters angefertigt) so gar nicht gefallen haben. Sie ging mit dem Messer darauf los, zerstörte es mit einem langen Schnitt. Außerdem habe Vater Engel die Scham der Tochter zusätzlich übermalt.

Der Zahnarzttochter erstes Röntgen

Im Zuge der Ausstellung hat sich Lentos-Restaurator Andreas Strohhammer fast schon forensisch dieser Geschichten angenommen. Wozu das Bild u.a. im Belvedere erstmals geröntgt wurde. Die Geschichte mit der späteren Übermalung ist dadurch ins Reich der Märchen zu verweisen. Im Gegenteil, belegt wurde nur die Untermalung, ein kleines, totenkopfartiges Gesicht scheint durch, wie ein Mal erscheint es auf der Stirn der jungen Schönen. Schiele ging es in dieser Zeit finanziell nicht gut, was die Zweitverwendung der Leinwand erklären könnte.

Hat diese Unterzeichnung vielleicht Trudes Zorn so erregt? Bei der Untersuchung der Leinwand fand Strohhammer nämlich nicht einen langen Hieb, sondern mehrere kurze Stiche. Trude dürfte auch nicht zwölf, sondern schon 14 gewesen sein, Strohhammer datiert das Bild aufgrund stilistischer Vergleiche jetzt mit 1913. Dagegen spricht ein Brief Engels an Schiele aus 1916, in dem er den Maler daran erinnert, dass Trude sich aufgrund seines „Benehmens“ ihr gegenüber 1912 nicht von ihm habe malen lassen und die Leinwand „aus gerechtem Zorn“ darüber zerstört habe. Seither durfte Schiele sein Haus nicht mehr betreten.

Es bleibt reine Spekulation, so Kuratorin Elisabeth Nowak-Thaller, was zwischen Schiele und Trude tatsächlich vorgefallen war. Natürlich denkt man sofort an Missbrauch, Schiele wurde wegen dieses Verdachts 1912 verhaftet. Allerdings nicht verurteilt. Das wurde er nur dafür, dass Mädchen im Atelier ein und aus gingen und die von ihm gemalten Akte sehen konnten. Vielleicht hat Trude schon allein der Vorschlag, sie nackt zu malen, gereicht – wir wissen es nicht. Schade, man hätte sie fragen können, sie starb erst 1992.

Schieles (schlechten) Zähnen blieb Vater Engel trotz allem verbunden, im Lauf der Zeit bekam er sechs Werke als Gegenleistung. Große Wertschätzung empfand er dafür keine, das Bild der Tochter, das Schiele wohl selbst restauriert haben dürfte, verschenkte Engel während des Krieges. 1953 wurde es dann von Wolfgang Gurlitt für das Lentos, damals Neue Galerie Linz, erworben. Heute steht es, voll seiner Rätsel, seiner Stigmata, von hinten wie vorn zu besichtigen, im Zentrum der Sonderschau.

„1918 – Klimt, Moser, Schiele“, bis 21. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2018)

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