Die malerische Freiheit der späten Entdeckung

Martha Jungwirth zwischen ihren aktuellsten Bildern, u. a. der Serie über den Putschversuch in Istanbul (hinter ihr und rechts).
Martha Jungwirth zwischen ihren aktuellsten Bildern, u. a. der Serie über den Putschversuch in Istanbul (hinter ihr und rechts).(c) Katharina F.-Roßboth
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Seit vier Jahren ist Malerin Martha Jungwirth gefragt wie nie. Nach ihrer Retrospektive in Krems stellt sie ab Donnerstag in der Albertina aus. Am selben Tag bekommt sie den Oskar-Kokoschka-Preis verliehen.

Vier Jahre ist das letzte Treffen her. Damals empfing die Wiener Malerin Martha Jungwirth in ihrer „Höhle“, ihrem kleinen Gassenatelier im vierten Bezirk. Es war im Vorfeld ihrer allerersten Retrospektive, ausgerichtet von der Kunsthalle Krems. Seither, muss man sagen, hat sie rasant Karriere gemacht, ein Shootingstar mit Ende siebzig. Am Donnerstag eröffnet ihre Einzelausstellung in der Albertina, am selben Tag, tatsächlich ein Zufall, bekommt sie Österreichs Oskar-Kokoschka-Preis. „Der tolle Tag“, lacht Jungwirth. Sie teilt das Schicksal des späten Durchstartens, das vielleicht auch Gnade ist, mit vielen Kolleginnen: Maria Lassnig, Louise Bourgeois, Renate Bertlmann fallen einem spontan dazu ein.

Jede ist natürlich speziell, Jungwirth ist es auch: von ihrer Erscheinung her, groß, herb, eloquent. So könnte man fast auch ihre Kunst beschreiben, v. a. im großen Format, egal, ob in Aquarell oder Öl, ist sie unverkennbar. Es sind intensive abstrakte Kompositionen in gedeckten Farben, die von der Spannung zwischen leerer Leinwand und energetisch, fast nervös verdichtetem Strich und Fleck leben. Und wie! Seit Jungwirth mit 16 Jahren auf die Kunst-Uni gegangen ist, arbeitet sie an dieser Sprache, diesem „Alphabet“. Dazwischen lehrte sie ein paar Jahre auf der Angewandten („Aber ich bin nicht von der pädagogischen Tarantel gestochen“), heiratete mit Alfred Schmeller den Direktor des damaligen 20er-Hauses, sicher kein Karriereboost. Dass sie 1977 bei der Documenta 6 ausstellte, auch nicht. Dort hat sie ihre genialen, feinnervig gezeichneten Innenansichten eines Geschirrspülers gezeigt – einige feministische Arbeiten finden sich ja doch in diesem nicht unbedingt politischen Werk, etwa die Serie, bei der sie ihren Mann à la Kokoschkas Alma-„Windsbraut“ gemalt habe, erzählt sie.

Nur ja keinem Rezept folgen

Den Durchbruch aber hat tatsächlich Krems gebracht – „jetzt verdien ich was“, sagt sie, hat Ausstellungen bei Ursula Krinzinger oder gemeinsam mit dem deutschen Malerstar Albert Oehlen, der sie einst im Archiv der Sammlung Essl für sich entdeckt hat, in Genf bei der Galerie Mezzanin. Muss sie jetzt etwa gar „produzieren“? Kommt jetzt das Riesen-Baselitz-Atelier statt der „Höhle“? „Nein, ich freu mich einfach, dass ich das noch erleb.“ Verändern wird sie ihre Arbeit nicht mehr, weder vom Format noch vom Material, vorwiegend malt sie auf Packpapier oder Industriepapier. Nur keinem „Rezept“ folgen, ist Jungwirths Credo, ist ihre Freiheit. „Das ist der Vorteil, wenn man so alt entdeckt wird. Dass man ohne Druck arbeiten kann, nur mit dem Druck, den man sich selbst macht, und der ist ja der beste.“ Oft entsteht dieser im Studium anderer Maler, die sie schätzt, Kokoschka durchaus, den sie zwar persönlich nicht mehr kennengelernt hat, dessen frühe Porträts, die Stillleben, aber auch spätere Bilder sie faszinieren. „Kokoschka hat sich immer verändert, das interessiert mich. Auch sein Umgang mit Strich und Fleck, die sich voneinander emanzipieren.“ Es sei eine intelligente Malerei, er habe ein großes Repertoire gehabt.

Ihr Hero aber ist der Wiener Ausnahmeexpressionist Richard Gerstl, „er war seiner Zeit weltweit voraus, hat das Informel, den amerikanischen abstrakten Expressionismus vorweggenommen“, findet Jungwirth. „Das wurde in Österreich nur nicht zur Kenntnis genommen. Wie es halt immer ist, bis man etwas merkt, dauert es hier lang.“ Gerstls düsterem Doppelporträt der „Schwestern Fey“ hat Jungwirth einen eigenen Zyklus gewidmet, immer wieder kommt sie auf die beiden gespenstischen Frauen zurück – „sie sind wie zwei Eulen immer hinter mir“. Auch jetzt, in der Albertina-Ausstellung, findet man sie, wenn man genau schaut, hier und da zwischen den 48 gemeinsam mit Kuratorin Antonia Hörschelmann ausgewählten Arbeiten hervorlugen, die von ganz frühen Aquarellen bis zu jüngsten Ölbildern reichen. Einiges ist aus der Sammlung Essl – er habe sehr gut ausgewählt, sagt sie –, einiges aus der Albertina, einiges aus dem Atelier.

Viele der Titel sprechen von den ausgedehnten Reisen, die Jungwirth gemacht hat, immer hat sie dabei auch gearbeitet. Das so geografisch penible wie liebliche „Wiener Aquarell“, das im Albertina-Geschoß darüber gerade ausgestellt ist, wird hier konterkariert – nur noch Emotion, kein annäherndes Abbild mehr. Jungwirth muss lachen, „das ist tatsächlich das Gegenteil von dem, was ich mache. Ich bin das andere Wiener Aquarell!“ Die Realität diene ihr nur als Vorwand, als Auslöser für Malerei. Etwa, wenn sie wie vor zwei Jahren den Fernseher einschalte und dort den Putschversuch in Istanbul sieht, „eine furchtbare Situation, es hat mich sehr berührt“. Ein Pressefoto kam dazu, in dem das Chaos, der ganze Schrecken plötzlich in „wunderschöne Farben“ getaucht war. Der Kontrast von Katastrophe und Schönheit war der Auslöser für ihre „Istanbul-Serie“. Blutschwer und wuchtig, umgeben vom Vakuum des leeren Papiers, hängt sie jetzt hier. Spät, aber eben doch.

Martha Jungwirth, Albertina, 2. März bis 3. Juni

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2018)

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