Leopold-Museum: Schiele umarmt sich selbst

Schiele in all seiner Wucht und all seinen (Doppel-)Rollen: Links die „Entschwebung“, rechts die „Eremiten“, in der Mitte als Selbstakt.
Schiele in all seiner Wucht und all seinen (Doppel-)Rollen: Links die „Entschwebung“, rechts die „Eremiten“, in der Mitte als Selbstakt.APA/HERBERT NEUBAUER
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Zu Schieles 100. Todestag hat man die hauseigene Sammlung neu aufgestellt, mit einigen Leihgaben auch aus den USA. Betont sind: die reifen Themen.

Ein Jahr nach der großen Zeichnungs-Ausstellung in der Albertina legt das Leopold-Museum, Hort von Schieles Ölbildern, seine Neudeutung dieses Ur-Künstlers unserer zerrütteten postmodernen Seele vor: Aus Egon Schieles Person und Werk, untrennbar miteinander verbunden, kann man lesen, was uns seit über 100 Jahren umtreibt, seit Sigmund Freud gerade uns erstmals hartnäckig danach gefragt hat: die Krise des Subjekts, das eigene Ich an Gottes Statt, das gequälte Selbst, ausgeliefert seinen verdrängten Trieben und Träumen. Schiele, der Narziss, sublimierte in seiner Kunst schließlich auch nur sein vom syphilitischen Vater so früh verlassenes Bahnhofskind-Wesen. Oder so. Die psychologisierende Lesart wird Schiele jedenfalls nicht mehr los. Bei jeder Ausstellung muss er auf die Couch (für uns).

„Selbst“ heißt also auch der erste Raum dieser „Jubiläums-Ausstellung“ zu Schieles 100. Todestag, den es im Herbst zu bedenken gibt. Mit der Wucht dreier monumentaler Gemälde wird Schiele uns hier in all seinem körperlichen In-die-Welt-Geworfensein und seiner verstörenden Vielgestaltigkeit vorgesetzt. Ein großartiger Raum. Überall Schiele – rechts als Doppelbildnis der wachen und somnambulen Künstlerseele in den „Eremiten“, so die Interpretation von Sammler-Sohn und Psychotherapeut Diethard Leopold, der mit Direktor Hans Peter Wipplinger hier kuratierte. Links die „Entschwebung“, ebenfalls ein Doppelporträt als Sterbender. In der Mitte der berühmte gelbe Selbstakt von 1910, bei dem er wie ein Insekt im Nichts schwebt, sich selbst umarmend oder das Genick brechend, je nachdem. Es ist das letzte erhaltene Bild einer ganzen Serie, für die auch seine geliebte kleine Schwester Gerti Modell stand, erfährt man in der ersten von mehreren Archivalien-Vitrinen, die einen durch die Schau begleiten. Mit Briefen darin, Fotos oder auch Fetischen wie einer Haarlocke Ediths, Schieles später Gattin.

Edith, die gute bürgerliche Partie von gegenüber, Schieles erste Beziehung „auf Augenhöhe“, wie Leopold formuliert, steht diesmal auffällig im Mittelpunkt. Es ist der reife Schiele, den man hier betonen möchte. Ein dem morbiden Jubiläum durchaus angemessener Ansatz. Ein ganzer Raum ist so etwa seinen späten Frauenakten gewidmet, die in der Regel weniger geschätzt werden, weil weniger radikal, die Körper harmonischer, rundlicher, plastischer. Die viel kritisierten und kriminalisierten Mädchenakte mit ihren hochgeschobenen Röcken und glühenden Geschlechtsteilen hat man in den „Mutter-Raum“ gehängt, also neben die Bilder, in denen Schiele schwangere Mütter sterben, blinde am Boden kauern ließ etc. Schließlich, so die Erklärung Leopolds, seien die Mädchenbilder der „ambivalenten“ Beziehung Schieles zu seiner Mutter geschuldet, mit der er einen in den Briefen nachlesbaren Kampf um Nähe, Freiheit und eigene Männlichkeit geführt zu haben scheint. Deshalb, so die Interpretation, neigte Schiele zu Beziehungen „mit Gefälle“, sei das von Reife oder sozialem Status her.

Wally und Egon wieder getrennt

Gemeint ist hier Wally Neuzill, das rothaarige Modell, das bisher die Schiele-Erzählung dominierte. Ihre tragische Liebe ist auch verlockend: Sie wurde ihm als Modell von seinem Vaterersatz, Gustav Klimt, „zugeführt“, harrte dann an seiner Seite während sämtlicher Skandale aus: Als sie aus Krumau vertrieben wurden, das er im Sinne seiner vermenschlichten Landschaften als „tote Stadt“ malte (war schließlich auch der Geburtsort seiner Mutter); als er in Neulengbach Schwierigkeiten bekam wegen Mädchenentführung. Immer gab Wally ihm Stütze und Alibi. Und dann heiratete er Edith. Die Geschichte ist zur Genüge bekannt in ihren demütigenden Details. Sie wird hier aber nicht erzählt, wie zum Trotz riss man sogar das in mehrerer Hinsicht ein Happy End bedeutende Paar auseinander: die zusammengehörigen Porträts von Schiele und Wally. Eben dieses Wally-Bild war es, das Rudolf Leopold dazu brachte, sich der Schattenseite seiner Sammelleidenschaft bewusst zu werden. 1998 wurde es in New York als Raubkunst sichergestellt und kehrte erst nach zwölfjährigem Rechtsstreit und einer Einigung mit den Erben nach Wien zurück. Wo es wieder neben Schieles Selbstporträt mit Lampionfrucht hängen durfte, seinem Pendant. Bis jetzt. Jetzt findet man „Wally“ weit hinten erst, bei den Porträts, als eine von vielen. Etwa bei dem aus den USA, aus der Neuen Galerie Ronald Lauders, angereisten Porträt des Arztes Erwin von Graff, das seit 1930 nicht in Wien zu sehen war – eines von wenigen Nicht-Leopoldinischen-Leihgaben für diese aus 60 Gemälden und 60 Papierarbeiten zusammengesetzten Retrospektive.

Man muss sich hier schon konzentrieren, die Archivalien und Wandtexte studieren, um Schiele in seine Welt zu folgen. Einfache Antworten werden hier keine gegeben, auch nicht auf die Frage nach Schieles „Spiritualität“, die in der Albertina-Ausstellung vor allem mit einer Identifikation mit dem Hl. Franziskus erklärt wurde. Hier, Aug in Aug mit dem stieren Blick des Okkultisten Eduard Kosmack, erscheint Schieles Interesse esoterischer, abwegiger, weniger österreichisch-katholisch. Auch hier wird ein Weg gewiesen, dem viele Künstler folgten. Womit wir bei „Kardinal und Nonne“ wären, einem absoluten Schlüsselbild. Mit Benetton-Werbung hat das gar nichts zu tun. Mit Geschlechterrollen, der Aufspaltung des Ichs in männlich und weiblich jedoch sehr. Hat die umarmte „Nonne“ doch Schieles Gesichtszüge und der „Kardinal“ die Schenkel, die in einer Zeichen-Serie eindeutig Wally gehören. Aber ist er nicht auch Egon? Liebkost er sich hier selbst? Ist das die hellsichtige Antwort auf Klimts „Kuss“, der noch, nur drei, vier Jahre vorher entstanden, einer ganz anderen Zeit angehörte? Diese Zeit, die sich hier ankündigt, ist dunkel. Und unheimlich. Kein Gold mehr weit und breit. Nur versinkende Sonnen und welke Sonnenblumen.

Schiele. „Die Jubiläumsschau“, bis 4. 11., tägl. außer Di. 10–18h, Do. bis 21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2018)

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