Kunsthistorisches Museum

Wenn Meister aller Zeiten miteinander flüstern

Über Zeiten hinweg konversieren, über ewige Liebe zum Beispiel: „Junges Paar“ (1505/10) und „Perfect Lovers“ von Felix Gonzalez-Torres (1987–1990).
Über Zeiten hinweg konversieren, über ewige Liebe zum Beispiel: „Junges Paar“ (1505/10) und „Perfect Lovers“ von Felix Gonzalez-Torres (1987–1990).(c) KHM/Gonzales-Torres-Found.
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Turner mit Tizian, Rubens mit Lassnig, Freud mit Bronzino: In "Shape of Times" beginnt es in der gesamten Gemäldegalerie zwischen den Generationen zu tuscheln und zu schreien. Und wir dürfen zuhören.

Es gibt Ausstellungen, von denen träumt man. Einmal die Gemäldesammlung des Kunsthistorischen umhängen, einmal hineinschwindeln zwischen die Alten Meister, zwischen die altvertrauten Szenen, was die Generationen von Künstlern danach auf sie geantwortet haben. Der Kurator für Zeitgenössisches am KHM, Jasper Sharp, hat diesen beneidenswerten Job übernommen, hat moderne und zeitgenössische Gemälde, erstmals auch Fotos und Videos, in diese um 1800 endende Sammlung integriert. Es ist ein grandioses Abenteuer für Augen und Geist, für uns alle, die wir die Kunst über die Jahrhunderte hinweg so lieben.

Leicht könnte so ein Aufeinandertreffen ein Aufeinanderprallen werden, das soll, das muss es manchmal auch. Aber seicht, polemisch oder vor Ehrfurcht mutlos wird es nie. Die Konzentration auf nur 19 Interventionen ermöglicht (fast) durchgehend eine Qualität auf Augenhöhe. Die Gäste sind schließlich so reich, berühmt und weltgewandt wie die Gastgeber selbst, die Liste umfasst Namen wie William Turner, Picasso, Mark Rothko oder Franz West (als Referenz an die erste zeitgenössische Intervention im KHM 1989). Man trifft auf eine der berühmtesten Fotografinnen, Catherine Opie, die junge pakistanische Künstlerin Nusra Latif Qureshi oder Maria Lassnig. Und diese alle scheuen keine politischen Diskussionen über die Zeiten hinweg. Nein, sie provozieren sie.

Lassnigs „Iris“ ganz ohne Pelzchen

Lassnig im Speziellen besorgt uns den Schock unseres Kunstlebens, was hätte wohl sie dazu gesagt: Jetzt hängt ihre selbstbewusste, nackte New Yorker Nachbarin tatsächlich neben Rubens' „Pelzchen“, ein Bild, das Lassnig über alles geschätzt haben soll. Es mag kein Zufall sein, dass „Iris“ von 1972/73 genau dieselbe Größe (und das Volumen) hat wie die blutjunge Gattin des alten Malerfürsten. Nur verschränkt die eine nicht mehr so verschämt wie verführerisch ihre Arme über den nackten Brüsten, die damals frisch Geschiedene stemmt sie in die Hüften. Fast schaut es so aus, als würde Hélène Fourment sich schützen wollen mit dieser Geste, vor dem, was plötzlich da neben ihr in voller Wucht sich breit gemacht hat. Der Feminismus ganz in Himmelblau.

Eine andere Sicht auf und von Frauen in dieses fast ausschließlich mit Werken von Malern bestückte Museum zu bringen, war Sharp ein besonderes Anliegen. Neben die Ausnahme dieser Regel, das Selbstporträt der Renaissance-Malerin Sophonisba Anguissola, das die Habsburger einst als Exotismus in die Wunderkammer verräumten, gesellt sich so ein ähnlich exotisch beäugtes Wesen vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die bis heute unterschätzte Surrealistin Claude Cahun, mit einem ihrer Rollenspiel-Fotos.

Doch das ist bei Weitem keine feministische Kampfausstellung, es ist nur Teil des inhaltlichen Spektrums, das sich hier entfaltet. In einem der beiden eigens für die Ausstellung geschaffenen Werke, dem Respons des US-Malers Kerry James Marhalls auf Tintorettos Voyeuristen-Fantasie „Susanna im Bade“, kommt mehreres zusammen. Statt der Alten bei Tintoretto sind jetzt wir in der Rolle der Beobachter einer intimen Szene . Wir lugen durch ein Fenster in Chicago, wo sich eine halbnackte Frau in ihrer Garderobe umzieht; sie ist schwarz. Diese Hautfarbe ist in historischen Kunstmuseen eine Seltenheit. Wenn sie vorkommt, dann steht sie für Sklaverei und Kolonialismus, im selben Raum wie Marshalls Bild etwa zeichnet sie die Dienerin in Veroneses „Judith mit dem Haupt des Holofernes“ aus.

Tradierte Darstellungen gehören hinterfragt, mit kritischem Blick zieht es sich eindeutig wieder achtsamer durch diese so vertrauten kollektiven Bilderspeicher. Höhepunkt dieser Verstörung ist eines der Hauptwerke von Lucian Freud, das Sharp für seine Freud-Ausstellung vor fünf Jahren trotz langen Bittens nicht verliehen bekommen hat – jetzt ist es doch um die halbe Welt geflogen, aus der Sammlung von Microsoft-Co-Gründer Paul Allen: Jetzt hängt das grausame Porträt von Freuds Patchwork-Familie (sie mussten zwei Jahre lang dafür regelmäßig posieren) neben Bronzinos statuenhafter „Heiligen Familie“. Was für ein Schreiduell.

Ein anderer Strang der Gegenüberstellung ist rein formal, assoziativ, wenn man so will der Schönheit verpflichtet: Eine der atmosphärischen Konzentrationstafeln von Mark Rothko (dem im KHM 2019 eine erste österreichische Einzelausstellung gewidmet sein wird) hängt neben dem großen, späten Selbstbildnis von Rembrandt, den Rothko so bewunderte. Ein ähnliches kongeniales Paar ist ein nahezu abstraktes Seestück von William Turner, das sich zu Tizians „Schäfer und Nymphe“ so verhält, als wäre es ein vergrößerter Ausschnitt aus dem Hintergrund.

Einige der Modernen und Zeitgenossen haben hier die seltene Gelegenheit genutzt, sich direkt an ihre großen Vorbilder anzupirschen. Etwa der auf Trinidad lebende Schotte Peter Doig, einer der heutigen Maler-Stars. Mit seinem neuen, dunkelbunten, rätselhaften Monster-Format schuf er ein karibisches Gegenbild zu Breughels „Jäger im Schnee“. Um das Flüstern zwischen diesen beiden Künstlern hören zu können, sollte man ganz still sein. Leichter zu verstehen ist die Familienzusammenführung, die Fiona Tann mit ihrem fiktiven Filmporträt von Rembrandts unehelicher Tochter Nellie ermöglicht, die mit 16 nach Indonesien emigrierte. Hier im KHM lernt sie erstmals ihren Halbbruder kennen, Titus, gemalt von ihrer beider Vater. Ein erstes, zögerliches Hi! Und wir haben es gehört.

The Shape of Time, bis 8. Juli, tägl. 10–18h, Do. 10–21h

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2018)

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