Die Relevanz der Kunst um 1900 wird verkannt

Klimts »Medizin« an einem Eck, am anderen ein Teil des Karl-Marx-Hofs: Holleins "Traum und Wirklichkeit" 1985.
Klimts »Medizin« an einem Eck, am anderen ein Teil des Karl-Marx-Hofs: Holleins "Traum und Wirklichkeit" 1985.(c) Imagno / picturedesk.com
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Welches Jahr wäre idealer gewesen, uns ein neues, zeitgenössisches Bild von Wien um 1900 zu machen? Vor 100 Jahren starben Klimt, Schiele, Moser, Wagner.

Was war die erfolgreichste Ausstellung, die Wien je gesehen hat? Van Gogh in der Albertina? Monet im Belvedere? Nein, es war „Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930“, die 1985 im Künstlerhaus stattfand. 622.000 Besucher kamen, es muss monumental gewesen sein, aus mehreren Gründen: Die Inszenierung stammte von Architekt Hans Hollein (1934–2014), der diese Schau mit ihren 2200 Exponaten gemeinsam mit dem damaligen Direktor des Historischen Museums der Stadt, des heutigen Wien Museums, Robert Waissenberger (1926–1987) als Spektakel organisierte.

Man hatte schließlich eine Mission: Es galt, die Relevanz von Wien als „Labor der Moderne“ nicht nur den Österreichern selbst in seinen Dimensionen und Facetten klarzumachen, sondern sie auch international zu erklären: Gustav Klimt aus dem peinlichen Kitsch-Eck zu holen, ihn wieder mit Sigmund Freud zu verbinden, mit den Wiener Literaten und Philosophen, aber auch mit Antisemitismus, Karl Lueger und am Ende Adolf Hitler. Die ganze komplexe Ambivalenz der Wiener Radikalen in Kunst und Gesellschaft, dieses Aufbruchs in eine neue, andere Zeit, die Moderne genannt wurde und die zum völligen Einbruch aller Menschlichkeit führte.

Secession und Antisemitismus. Man muss sich das selbst immer wieder vor Augen führen: Im selben Jahr, in dem die Secession gegründet wurde, 1897, wurde Karl Lueger, dieser erste populistische Antisemit, der christlich-soziale Wiener Bürgermeister. Gerade Otto Wagner, der große Modernisierer des historistischen Wiener Architekturgeschmacks, der urbane Visionär, der Wien als Weltstadt sah, war einer seiner Anhänger. Dennoch trat er der Secession bei, die wieder die Allianz mit der Tradition, mit Kaiser Franz Josef suchte. Einer der Stimmführer der Secessionisten, Carl Moll, sollte später dennoch ein großer Nazi werden. Im Jahr 1907, als Moll und die Klimt-Gruppe die bedeutendste Ausstellung der Wiener Moderne eröffneten, die „Kunstschau Wien“, bewarb Hitler sich erfolglos als Maler an der Wiener Akademie der bildenden Künste.

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