Kunst und Körper bei der Arbeit

Aus der Video-Installation „Körper in Arbeit“, die Witt u. a. auf dem Erste-Bank-Campus drehte.
Aus der Video-Installation „Körper in Arbeit“, die Witt u. a. auf dem Erste-Bank-Campus drehte.(c) Witt/Galerie Wagner
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Die Künstlerin Anna Witt spürt den Dilemmata der neuen Arbeitsverhältnisse nach. Und zwar anhand unserer Körper, mit Gesten, Herztönen, Tanz und Akrobatik.

Wie haben sich unsere Arbeitsbedingungen verändert? Wie unsere Einstellungen, wie unsere Körper? Optimierung, Flexibilisierung, Work-Life-Challenge, mehr Freiheit auf der einen Seite, mehr Stress auf der anderen – es ist kompliziert. Wer verstände diese Ambivalenzen besser als Künstler, die seit jeher gewohnt sind, in derlei freien, kreativen Selbstausbeutungsverhältnissen zu arbeiten?

In ihren sozialen Performances lässt die 1981 in Bayern geborene Künstlerin Anna Witt immer wieder die Dilemmata der heutigen Arbeitswelt körperlich konkret, spürbar werden. 2010 bat sie etwa für die Dreikanal-Installation „Gleitzeit“ Passanten, um zehn Euro für sie mit der erhobenen Faust der Arbeiterbewegung zu posieren. Heraus kamen lauter Individualisten, die sich hier mehr oder weniger kämpferisch solidarisierten – darin aber auch konkurrierten. Wer hält die Pose länger durch? Und wofür? Mehr Regulierung? Mehr Deregulierung? Im Untergeschoß des Belvedere 21 sind drei Projekte Witts zu sehen, die alle um dieses brisante Arbeitsthema kreisen, ohne populistisch Stellung zu beziehen (Kuratorin Luise Ziaja). Es ist die erste Einzelausstellung Witts in der Stadt, in der sie seit 2005 lebt, und von der aus sie mit ihren kollaborativ angelegten Aktionen international reüssiert.

Turnen durch den Erste-Bank-Campus

Es war aufgelegt, dass sie sich an diesem Ort, bei diesem Generalthema in einer neuen Arbeit auch dem Aufsehen erregenden baulichen Gegenüber des ehemaligen 20er-Haus widmet: dem Erste Bank Campus, einem Vorzeigeprojekt in Sachen neues, modernes Arbeitsethos. Für „Körper in Arbeit“ filmte sie Athleten des neuen Extrem-Lifestyle-Sports Calisthenics dabei, wie sie akrobatisch dieses Bürogebäude ohne Büros vermessen. Hier gibt es keine fixen Arbeitsplätze mehr, dafür ganz viele flexible, große Flächen. Hinterlegt hat Witt die Szenen mit Zitaten aus langen Interviews mit den Leuten, die hier arbeiten, die mit ihr über ihre Ängste und Erwartungen reflektierten.

Hat Witt früher ihre humorvollen, meist mit Passanten agierenden, meist spielerisch-spontan wirkenden Aktionen einfach als Videodokumentationen präsentiert, benutzt sie die Bildschirme jetzt immer stärker als bildhauerisches Material – „Körper in Arbeit“ etwa ist eine Bildschirmcollage, die man von einer eigens entworfenen Hommage an die neue Art der Büromöbel aus beobachten kann: Hier hat man durch nicht durchgezogene, gepolsterte Trennwände einerseits Privatsphäre zum Konferieren, andererseits Durchblick, um zu kommunizieren. Total flexibel, könnte in Serie gehen.

Zu mächtigen Denkmälern für Sexarbeiterinnen, angelehnt an kommunistische Arbeitermonumente, hat Witt jeweils drei Bildschirme übereinander auf hohe schwarze Sockel gestellt, die gleichzeitig als vibrierende Lautsprecher dienen: Auf den Bildschirmen sieht man fragmentierte Körper von sechs Stangentänzerinnen eines Berliner Stripclubs. Sie improvisieren Choreografien zu ungewöhnlichen Rhythmen, nämlich den von Witt aufgenommenen Herzschlägen von Prostituierten des benachbarten Straßenstrichs. Benachbart ist aber auch die nahe der Kurfürstenstraße blühende Berliner Galerienszene, auch Witts Galerie. Die Frauen, die „Beat Body“ als Solidaritätsaktion untereinander wahrnahmen, so Witt, kamen 2016 dann auch alle zur Eröffnung. Höchstwahrscheinlich das erste Mal.

Anna Witt, „Human Flag“, bis 27. Mai, Belvedere 21, Mi.–So. 11–18 h, Mi. und Fr. bis 21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2018)

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