Leonardo beglückt die Menschen und treibt sie in den Wahn: Ein Insider erzählt vom Leben inmitten der „Da-Vinci-Industrie“ – und der schier unheimlichen Wirkung großer Kunst.
Eigentlich begann es ganz beschaulich für Martin Kemp. Der als Student aus der Biologie in die Kunstgeschichte abgewanderte Brite staunte, wie da Vinci 1489 zeichnerisch den menschlichen Schädel studiert hatte, wie dieser die Schädelkuppel „wie einen römischen Tempel“ untersucht hatte – nicht nur die Struktur, sondern auch die geometrischen Proportionen. Ein entscheidender Moment, erinnert sich Kemp. „Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, Leonardo kennenzulernen – über den Abstand von fünf Jahrhunderten hinweg einen echten Dialog mit ihm zu beginnen.“
Sein Dialog mit einem Renaissancekünstler wäre in akademischen Gefilden geblieben, Martin Kemp hätte das ruhige Leben eines Kunsthistorikers geführt und sicher kein Buch darüber geschrieben – wäre das Objekt seiner Forscherleidenschaft ein anderes gewesen. Bei Vinci aber existiert keine Normalität. Seinen Namen kennt die Welt besser als den jedes anderen Malers vor dem 20. Jahrhundert. Der Künstler und Ingenieur, Erfinder und Wissenschaftler lässt die Welt träumen und schaudern. „The da Vinci Code“, nannte Dan Brown seinen Roman – nicht einmal Michelangelo löst diese Faszination aus.