Kunsthalle München: Faust – die tollste deutsche Dreiecksbeziehung

Was für ein hundsgemeiner „Mephisto“! Eduard von Grützner schuf dieses Genrebild 1872.
Was für ein hundsgemeiner „Mephisto“! Eduard von Grützner schuf dieses Genrebild 1872.(c) Münchner Stadtmuseum
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Die Schau „Du bist Faust“ inszeniert intelligent und multimedial den großen Mythos. Sogar Claudia Schiffer ist hier ein Gretchen, Robert Mapplethorpe ein Mephisto. Und man kann sich selbst in Faust verwandeln.

Der Satz ist verführerisch. „Du bist Faust“ lautet der Titel einer Ausstellung in München über „Goethes Drama in der Kunst“. Tatsächlich wird das Versprechen hier quasi als Höhepunkt in der Tragödie Erster Teil eingelöst: Die Besucher der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung sind bereits durch mehrere, mittels Samtvorhängen getrennte Räume gegangen, haben das Vorspiel im Himmel (ein Filmclip mit Gustav Gründgens von 1960), das Räsonieren des Gelehrten, die Begegnung mit Geistern und dem Teufel hinter sich gelassen, da hört man hinter einem großen Vorhang Margarete singen. Beim Eintreten wird dann jeder hier tatsächlich zu Faust oder Gretchen.

Man steht nun in der Bühnenkulisse von Charles Gounods französischem „Faust“, bei einer Aufführung in Paris 1869. Große Oper! Sogar ein zierlicher Spiegel, ein Requisit, das Marie Caroline Miolan-Carvalho als Margarete (bei der Uraufführung 1859 im Théâtre Lyrique) bei sich hatte, ist im Original vorhanden. Und du bist Faust, der sich, nach dem ewig Weiblichen sehnend, im Garten vor einem putzigen Haus eines altdeutschen Städtchens herumtreibt, vor dir das Parkett, die Ränge und die alte Beleuchtung, links eine große Leinwand, auf der die Eröffnungsszene von Martin Scorseses Film „The Age of Innocence“ (1993) gespielt wird – mittendrin in einem Liebesduett von Margarete und Faust erlebt man dabei auch diverse Reaktionen und Aktionen des Publikums in der alten Oper in New York im 19. Jahrhundert.

Das Puppentheater der Großmutter

Die von Kunsthallen-Chef Roger Diederen und Thorsten Valk von der Klassikstiftung Weimar kuratierte Schau ist kunstvoll inszeniert. „Faust“, dieses Drama in zwei Teilen, das Johann Wolfgang von Goethe sein Leben lang beschäftigt hat, wird zum multimedialen Ereignis. Zwar dominiert die bildende Kunst, doch auch Filme berühmter Inszenierungen, Musikbeispiele, alte Prachtbände, Fotos, Comics und eine Prise Kulturgeschichte runden den Eindruck der Fülle ab. Werke von 70 Künstlern sind zu sehen, neben vielen persönlichen Dokumenten und Objekten Goethes. Malereien von Eugène Delacroix , Sigmar Polke und Anselm Kiefer, Zeichnungen von Max Beckmann und Robert Gernhardt, patinierte Bronzen von Pierre Hébert und Jacques Gautier aus Lyon, ein Selbstporträt von Robert Mapplethorpe als Teufel mit neckischen Hörnchen. Hier wird geklotzt. Schließlich geht es um großen deutschen Mythos. Weltliteratur ist an der Zeit!

Aber noch einmal zum Beginn, in einen fast leeren Raum: Berühmte Porträts des Dichterfürsten sind im Original zu sehen (Georg Melchior Kraus 1775/76, Joseph Karl Stieler 1828, Öl auf Leinwand), die Fassade eines großen Bürgerhauses ist an die Wand gedruckt. Frankfurt am Main also, wo er Kindheit und Jugend verbrachte? Es ist die raumhohe Reproduktion eines Spielzeugs. Als Goethe vier war, schenkte die Großmutter ihm und seiner Schwester Cornelia ein Puppentheater, das eifrig bespielt wurde, wie er in der Autobiografie „Dichtung und Wahrheit“ schreibt. Vor diesem ebenfalls ausgestellten Objekt ist es leicht vorstellbar, dass bereits die Kinder eine Art Vorspiel auf dem Puppentheater samt Teufel, Geistern und Hexen inszeniert haben. Durch einen samtroten Vorhang geht es weiter, zu Filmszenen – die monumentale Inszenierung Peter Steins aus dem Jahr 2000, der Klassiker Peter Gorskis von 1960. Es folgt ein prägnanter Abschnitt über den Faust-Stoff und die Entstehungsgeschichte bei Goethe.

Mephisto, der Trickster, der Dandy

Den drei Protagonisten des Dramas wird das Hauptaugenmerk geschenkt. Das zeigt sich auch im Detail einer Tapete. Sie sieht ornamental aus, aber bei genauer Betrachtung entdeckt man, dass in den roten Blättern und Blüten auf dunklerem Grund ein Liebesdreieck dargestellt wird: Links Margarete, rechts Faust und über ihnen Mephisto, die zynische Seite des egomanischen Gelehrten. Herrlich ist die Vielfalt dieses Teufels, eines Tricksters, Dandys und Hofnarren oder eines Opportunisten, als der er sich in einer Filmszene aus István Szabós „Mephisto“ von 1981 offenbart. Klaus Maria Brandauer spielt Gründgens, der den Verführer spielt, selbst verführt wird, sich von den Nazis feiern lässt. Viel direkter sind die Porträts des Genremalers Eduard von Grützner aus dem späten 19. Jahrhundert: ein hundsgemeiner Mephisto.

„Dein goldenes Haar, Margarethe“

Im Vergleich dazu sind die Darstellungen des Titelhelden geradezu bieder. Bei Delacroix zum Beispiel dominiert im Ölgemälde „Faust und Mephisto“ von 1827/28 der Teufel das Bild. Er steht erhöht im Licht als imponierende Gestalt, während der Gelehrte im Kontrast wie ein dunkler Fleck wirkt. Ein deutscher Idealist eben. Spannender sind da manche Szenen mit dem Gretchen. Sie ist nicht nur die reine Magd, wie das die vielen Postkartenmotive und eine Masse an Genrebildern mit der Kirchgängerin bei der ersten Begegnung mit Faust zeigen, sondern die wahrhaft tragische Figur. „Dein goldenes Haar, Margarethe“ schreibt Kiefer über sein düsteres Gemälde von 1981. Spätestens wenn die junge Frau sich den von Mephisto beschafften Schmuck anlegt, verliert sie ihre Unschuld. Beeindruckend sind auch die Filmszenen mit dieser Figur aus Friedrich Murnaus Meisterwerk von 1926. Platter wird es, wenn Model Claudia Schiffer für Karl Lagerfeld in einem Foto von 1995 lüstern mit glitzerndem Geschmeide spielt. Ihre Ruh ist hin. Das künden auch all die Lieder von Schubert und Schumann bis Wagner und Wolf, die in einem biedermeierlich anmutenden Raum angehört werden können.

Am Ende des verwinkelten Gangs durch die Illusionen, nach all den Begegnungen mit dem Leibstück der Deutschen führt die Schau in ein Spiegelkabinett. Wie in einem Hologramm erscheinen hinter Glas Werner Wölbern, Andrea Wenzl und Bibiana Beglau. Sie haben am Residenztheater bei Martin Kušej Faust, Margarete und Mephisto gespielt. Hier tragen sie affine Texte von Albert Ostermaier vor. Jetzt kann man sich noch einmal entscheiden: Will man keine Zeit verlieren, um das Menschenmögliche zu machen? Oder nur im Augenblick geküsst werden? Oder doch schon das Ewig-Leere suchen? Du hast die Wahl und weißt bereits: „Es irrt der Mensch, so lang er strebt.“

Bis 29. Juli 2018 in der Kunsthalle München, Theatinerstraße 8, täglich 10 bis 20 Uhr. Zum umfangreichen Rahmenprogramm siehe auch www.faustfestival.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2018)

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