Kunsthalle Krems: Narzisstische Kränkung in der Kirche

Eva Schlegel setzte eine labyrinthische Anlage mit stählernen Gerüsten und geheimnisvoll satt-dunklen Spiegeln ins gotische Gewölbe der Dominikanerbastei.
Eva Schlegel setzte eine labyrinthische Anlage mit stählernen Gerüsten und geheimnisvoll satt-dunklen Spiegeln ins gotische Gewölbe der Dominikanerbastei.(c) Kunsthalle Krems, Farid Sabha
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Installationskünstlerin Eva Schlegel machte aus der Dominikanerkirche ein Spiegelkabinett – aber in diesen Spiegeln sehen wir nicht uns selbst, sondern den Raum um uns. Wo wir doch gewohnt sind, im Mittelpunkt zu stehen!

Am Anfang war Eva Schlegel entsetzt. Der ihr zugedachte Ausstellungsort in Krems, die seit 1786 säkularisierte Dominikanerkirche, gefiel ihr überhaupt nicht. Dieser Boden! Ist auch wirklich nicht schön. Mittlerweile liebe sie den Raum, erzählt sie. Mittlerweile steht ja auch ihre Kunst drinnen. Wie schon Künstler wie Manfred Wakolbinger oder Elisabeth Samsonow zuvor entschied sich Schlegel für eine Gesamtinstallation in diesem extrem langen gotischen Gewölbe. Beim Eingang wird man erst einmal gestoppt, vor einem erhebt sich eine labyrinthische Anlage von stählernen Gerüsten, die mit geheimnisvoll satt-dunklen Spiegeln zu großen Stellagen verwandelt werden.

Man blickt zu Boden, dort öffnet sich ein erster Schlund, in den einen diese Spiegel ziehen können. Es ist ein alter optischer Trick natürlich, die Unendlichkeit des Raumes im gespiegelten Spiegel. In der Dominikanerkirche treibt Schlegel ein subtiles Spiel mit dieser – ist es eine göttliche? – Unendlichkeit. Mal fliegt der Blick ungebremst durch die Gerüsttürme hindurch bis an die Decke, manchmal schiebt sich ein Spiegel dazwischen, lässt uns in hoher Höhe plötzlich selbst darin auftauchen. Manchmal rutschen die Spiegelflächen eng zusammen, manchmal rücken sie auseinander. Es ist ein horizontales Spiegelkabinett, durch das wir gehen, das sich mehr auf den Raum konzentriert als auf uns, die Menschen, die so gewohnt sind, in seinem Mittelpunkt zu stehen. Welch narzisstische Kränkung.

„Bitte nehmen Sie Platz“

Plötzlich steht man am Ende des Langschiffs, steht man dort, wo man sonst auf einen Altar blickt. Stattdessen schaut man wieder auf Spiegel. Schlegel hat hier eine ganz eigene Art des Chorgestühls hingesetzt, fast wie ein organisches Gebilde prangt hier ein schillernd-glänzender Pavillon, zusammengesteckt aus kreisförmigen Spiegelscheiben. Man betritt vorsichtig das Objekt, spiegelt sich, vermag sogar um die Ecke zu blicken. Auf der Hinterseite dann endlich physisch angelangt, darf man sich setzen. „Bitte nehmen Sie Platz“, wird man sogar schriftlich aufgefordert. Da sitzt man also, die ganze Kirche gefühlt im Rücken, geborgen wie in einer Spiegelhöhle (oder ist es die Spiegelhölle?) und blickt ins Nichts.

Jedenfalls in den leeren Raum. Der Blick kann ruhig werden, klar, man kann sich konzentrieren. Und manche würden jetzt eine Zigarette rauchen. Ab Herbst wird man das in diesem Spiegelpavillon tatsächlich tun können, allerdings viele hundert Kilometer entfernt, im Park des Liaunig Museums.

Das Kremser Sitzobjekt ist das Eins-zu-Eins-Modell des Raucherpavillons, den Schlegel für den Kärntner Privatsammler konzipiert hat. Es ist nicht blasphemisch gemeint und dennoch vielleicht kein Zufall, dass er jetzt dort steht, wo früher ganz ein anderer (Weih-)Rauch aufstieg. Und in den 1920er-Jahren vielleicht auch tatsächlicher Tabakrauch, denn ab 1921 wurde dieser Kirchenchor als Kino verwendet. Das würde Schlegel sicher gefallen. Ihre Filme aber zeigt sie an anderem Ort, in der Kremser Kunsthalle, wo ein zweiter Teil dieser Einzelausstellung den Fokus noch stärker auf das Thema „Raum“ im Werk Schlegels richtet.

Die Tiroler Foto- und Installationskünstlerin wurde bekannt mit ihren verschwommenen Fotos von Frauen und mit ihren Glaswänden, bedruckt mit unleserlicher Schrift. Auch in der Kremser Kunsthalle gehört eine solche Glasarbeit seit 1998 zur Ausstattung: Hält sich diese zwischen Ornament und Inhalt oszillierende Wandgestaltung sonst im Hintergrund, ist sie jetzt stimmiger Background für die Filme Schlegels, die in der Halle laufen. Drei kreisrunde Projektionen, Gucklöcher in andere Dimensionen. Ein russischer Wissenschaftler hat eine Simulation errechnet, drei Schwarze Löcher inklusive, an denen man netterweise immer knapp vorbeizufliegen scheint.

Sportler im Windkanal

In den anderen zwei Filmen sieht man Sportler in einem Windkanal. Sie wirken, als würden sie abwechseln schweben, fliegen und fallen. Bleibt man bei der psychoanalytischen Deutung von Schlegels Werk, die Elisabeth von Samsonow im Katalog vorgibt, geht es wohl um den sexuellen Rausch. Oder schlicht um die Darstellung, wie schnell Situationen kippen können, von Lust zu Horror. Im Oberlichtsaal wird die Sinnlichkeit von Schlegels Raum-Lust besonders sichtbar: Zu sehen sind sanft verschwimmende Fotos von bzw. aus Museen. Schlegel scheint die kühlen Kunst-Architekturen mit ihrer Kamera zu liebkosen, die Bilder haben fast etwas von der Weichzeichner-Erotik eines David Hamilton. Höhepunkt ist eine Ansicht der leeren, weißen Pfeilerhalle der Kremser Kunsthalle: Tritt man näher, scheint sie uns wie Op-Art einzusaugen.

„Spaces“. Eva Schlegel, bis 4. 10 in der Dominikanerkirche Krems, bis 4. 11. in der Kunsthalle Krems. Di–So 10–18 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2018)

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