Franz West triumphiert in Paris

Spiegler
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Das Centre Pompidou widmet Franz West (1947–2012) eine Schau – für Österreicher eine höchst rare Ehre. Vielleicht auch ein Friedenszeichen im Streit um den Nachlass.

Es ist schon ein wenig erhebend. In Paris kann man gerade dabei zusehen, wie österreichische Kunstgeschichte zur internationalen wird. Das schreibt sich leicht, ist aber bis auf Ausnahmen selten: Im Centre Pompidou eine Einzelausstellung gewidmet zu bekommen, ist nur wenigen österreichischen Künstlern vergönnt, in den vergangenen Jahrzehnten scheinen es immer weniger. In der Tate Modern in London eine Einzelschau zu bekommen, ist noch seltener. Franz West schafft beides, ab heute Paris, dann, ab Februar 2019, London. Das Wasser kann ihm da nur die ebenfalls bereits verstorbene Maria Lassnig reichen.

Seit seinem Tod 2012 war der Name Franz West allerdings eher mit Schlagzeilen über komplizierten Streit um seinen Nachlass und die Verwertungsrechte verbunden. Bis heute ist er nicht gelöst, in der Arena befinden sich die in letzter Minute von West gegründete Privatstiftung, zwei erbberechtigte minderjährige Kinder, vertreten von ihrem Adoptivvater, das schon lang existierende West-Archiv von Mumok-Kuratorin Eva Badura-Triska. Es wogte hin und her, zurzeit wartet die Stiftung, die nach einem negativen Entscheid des Oberlandesgerichts eine außerordentliche Revision eingebracht hat, auf eine Antwort der Erben.

Die Interessen führender Galerien

Hinter all dem stecken auch Interessen führender Galerien. Da ist Wests letzte Galerie, Weltkunstmarktführer Gagosian, der über einen Vertreter in der Stiftung als Beirat involviert ist. Und ein weiterer Big Player, David Zwirner, der zuletzt verkündete, er vertrete jetzt den (immer noch einem Verlassenschaftskurator unterstellten) Nachlass – was man jetzt allerdings nicht mehr auf seiner Homepage finden kann. Alles ist rechtlich noch völlig offen, sagt Wests Neffe Roland Grasberger, einer von drei neuen Stiftungsvorständen, der „Presse“ am Rand der Pompidou-Eröffnung. Er strebe aber eine Einigung an, einen Vergleich, der Streit soll bald enden. Gut für den Markt. Und gut für die Aufarbeitung von Wests Werk.

Die Retrospektive könnte auf eine friedlichere Zukunft weisen – bei der Vernissage trafen sich alle Akteure zu Jazzklängen der West-Freunde Freddie Jelinek und Philipp Quehenberger. Alle Parteien hätten zusammengeholfen, niemand habe blockiert, im Gegenteil, so Kuratorin Christine Macel, die mit ihrem Kollegen von der Tate, Mark Godfrey, drei Jahre lang an der Ausstellung gearbeitet hat. Das merkt man. Die Schau ist im prominentesten Ausstellungsgeschoß, ganz oben, platziert. Sie ist präzise recherchiert, mit einigen seltenen, teils noch nie gezeigten Leihgaben ausgestattet, für Wests Leben und Werk fast schnörkellos und nüchtern kunsthistorisch erzählt. Man merkt, hier hat sich niemand verirrt in einem Werk, das zum anekdotischen Verirren angelegt ist, sondern hier wird die Geschichte dieses Wiener Ausnahmekünstlers festgeschrieben, der für mehrere jüngere Künstlergenerationen eine Leitfigur war.

Ästhetik des Unangestrengten

Inklusive Mythos. So steht, wie ein Motto, am Anfang Wests Dandy-Zitat: „Mein Ideal war immer, nichts zu tun und dennoch davon leben zu können.“ Die Ästhetik der Pause, der Muße, des Unfertigen, Unangestrengten, des Improvisierens, des leichthändigen Kringels, der nur Würde und Tiefe bekommt, wenn er sich so freudianisch unbewusst wie möglich herausgeschraubt hat. Das alles beherrschte West perfekt. Damit auch wir es genießen können, gab er uns die Instrumente wörtlich in die Hand – das spielerisch-sperrige „Paßstück“, mit dem man hantieren, posieren, sich erforschen sollte. Den mit Teppich überworfenen Diwan, wie er ihn aus der Wohnung seiner Mutter, der Zahnärztin im Karl-Marx-Hof, kannte, auf dem man nichts anderes kann außer lungern. Die nachlässig bunt bemalten Pappmaché-Trümmer, deren wilde, amorphe Formen allein freies Assoziieren zulassen.

Free Jazz – all diese Elemente waren früh da, in den 1970er-Jahren, West variierte sie bis zuletzt. Die späten, grell lackierten Aluminiumobjekte, auf denen man sitzen könnte (wüsste man nicht den Titel, wie etwa den der rosa Rosetten, „Cool books“, abgeleitet vom italienischen „buko del culo“) – auch sie sind Variationen. Nicht, dass man hier Wests Werk völlig neu entdecken würde, man kennt es doch ganz gut. Das Prä-West-Werk sozusagen ist der Öffentlichkeit weniger bekannt, die „Mutterkunst“, düster-surreale Kohlezeichnungen, die der junge West machte, um seiner Mutter zu imponieren, oder die vom Phantastischen Realismus geprägten Bordell-Zeichnungen. Es folgen die Zeichnungen, mit denen er den Wiener Aktionismus karikierte, es folgt wildes Malen und Improvisieren mit den neuen wilden Malern in den 1980er-Jahren. Alle diese Anregungen (das Mitmach-Element in der Kunst vom Deutschen Franz Erhard Walther etwa) hat West eingeworfen, gekaut wie Kaugummi, probehalber mal aus dem Mund genommen, daran herumgezogen, es (philosophisch) betrachtet, wieder hineingesteckt, ausgespuckt, mit stillem Lachen.

Das tut er vielleicht immer noch, sitzend auf einer rosa Wolke, so absurd geformt vielleicht wie diese wundervolle kleine West-Skulptur, die sich im Rahmen der Pompidou-Schau in den Hof des kleinen Pariser Rokoko-Museums Cognacq-Jay ganz in der Nähe verirrt hat. In sich hineinlachen über diese ruhmreiche Ausstellung. Den verworrenen Erbstreit. Und die vielen Worte, die sein Werk suchend umschwirren.

Compliance-Hinweis: Mit finanzieller Unterstützung des Centre Pompidou. Ausstellung bis 10. Dezember.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2018)

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