Zu Besuch bei Monets Seerosen

Als stünde man vor dem Bild: Links die Seerosen (1916–19) aus der Sammlung Beyeler, rechts der Blick auf den Seerosenteich in Giverny.
Als stünde man vor dem Bild: Links die Seerosen (1916–19) aus der Sammlung Beyeler, rechts der Blick auf den Seerosenteich in Giverny.(c) Fondation Beyeler/Spiegler
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In Giverny, nahe Paris, liegt der Garten, den Claude Monet einst angelegt hat. Die Hälfte seines Lebens wohnte er hier. Die Albertina widmet ihm ab Freitag eine Ausstellung.

Da sitzt man und schaut. Auf ein Motiv, das man so in und auswendig zu kennen glaubt. Nur, dass es sich plötzlich sacht zu bewegen beginnt. Auf Monets Seerosenteich lässt die Sonne plötzlich glänzende Lichttupfen tanzen. Die gespiegelten Kronen der Bäume am Ufer wiegen sich leicht hin und her. Hie und da huscht ein Wasserläufer vorbei. Und wenn man sich wirklich konzentriert, kann man sogar das Stimmenrauschen ausblenden, das in dieser Idylle unablässig ans Ohr schwappt.

Allein ist man hier nie, in dieser Pracht von einem Garten, den sich Monet in Giverny, eine Stunde von Paris, geschaffen hat. Mit 650.000 Besuchern im Jahr (die Winterhälfte ist geschlossen), sei man an der Grenze, erzählt der Direktor der betreibenden Monet-Fondation, der einstige Pariser-Oper-Intendant Hugues Gall. Kein Wunder. Es ist auch kein Wunder, dass sich gerade diese Kultur-, diese Kunstlandschaft bis heute erhalten hat. Die überbordende Pflanzenwelt hat Monets berühmtes Spätwerk, so nah schon an der Abstraktion, geprägt. Jedes Detail hat er selbst bestimmt, wie man aus Briefen an seine sechs, sieben Gärtner weiß, jeden Weg, jede Sorte der zahllosen Blumenarten, die hier zu Tausenden wachsen, darunter allein 50.000 Tulpen. Der Rest: Iris, Cosmeen, Fuchsien, Pelargonien, Phlox, Tabak, Geranien etc. Und Seerosen natürlich.

Der letzte Impressionist. 43 Jahre hat Monet hier gelebt, die Hälfte seines Lebens. 1926 stirbt er hier, in seinem Schlafzimmer im ersten Stock dieses langgezogenen Landhauses, aus dessen Fenster mit seinen grünen Läden er auf sein Reich hinunterblicken konnte, der große, alte, bärtige Malerfürst, der letzte Impressionist. Das Haus ist gut erhalten, hier wurde eine der charmanteren Künstlergedenkstätten eingerichtet, mit einigen originalen Möbeln, allerdings ohne originale Bilder, die eigenen Werke, die das Marketingtalent im Salon präsentierte, die Bilder der Kollegen, die japanischen Farbholzschnitte, die er sammelte, im privaten ersten Stock. Alles Repliken.

Die drei Ateliers, die es auf dem Gelände gab, sind als solche nicht rekonstruiert, im größten ist heute der Shop. Hier entstand die monumentale Seerosenserie, acht jeweils zwei Meter hohe, bis zu 17 Meter lange Leinwände. 1922 schenkte er sie, auf Vermittlung seines Freundes, Ex-Ministerpräsident Georges Clemenceau, dem Staat. Die Orangerie am Place de la Concorde wurde nun dieser Ode an Licht und Wasser gewidmet, heute ist das Museum mit den zwei Raumellipsen ein Monet-Tempel. André Masson bezeichnete es 1952 sogar als „Sixtinische Kapelle des Impressionismus“.

Eröffnet wurde die Orangerie erst nach Monets Tod. Er hatte seit 1914 an der Serie gearbeitet, praktisch nichts verkauft. Er dachte, dass seine immer freier werdende Malweise niemand verstehen würde, er wollte völlig Neues schaffen. Zu Lebzeiten stellte er sie nicht einmal aus, er hatte es finanziell nicht nötig, er war alt, reich und fast blind. So wollte er sich auch von den der Orangerie versprochenen Bildern zeitlebens nicht trennen. Das musste dann sein einziger Erbe abwickeln, sein jüngerer Sohn Michel.

Er erbte alles. Die sechs Stiefkinder, mit denen er samt seiner zweiten Frau in Giverny gelebt hatte, bekamen nichts. Dabei interessierte sich Michel weder für Kunst noch für den Garten, den er sukzessive verwildern ließ. Als er 1966 starb, vermachte er überraschend alles der Akademie der Künste, die heute noch Sitz der Monet-Foundation ist. Die Bilder aus dem Nachlass kamen aus Giverny ins kleine, eigentlich einer privaten Sammlung napoleonischer Kunst gewidmete Musée Marmottan, das den Zusatznamen Monet erhielt – und einen mit US-Geld errichteten unterirdischen Gartentrakt (über Amerika lief schon Monets gesamte Karriere, hätten die Amerikaner und Japaner nicht zu kaufen begonnen, seine Landsleute hätten Monet ignoriert).


Weltgrößte Monet-Sammlung. Hier, im etwas abgelegeneren Musée Marmottan findet man heute mit über 90 Werken die größte Monet-Sammlung weltweit, darunter befindet sich das frühe, dem Impressionismus einst seinen Namen gebende „Impression, Sonnenaufgang“ von 1872. Vor allem aber eben das Spätwerk, von dem Monet nichts verkaufte, darunter alle sogenannten Ölskizzen zu den großen Seerosenbildern für die Orangerie etwa, die allerdings völlig eigenständig wirken.

Etwa ein Drittel der rund 100 Leihgaben der großen Monet-Ausstellung in der Albertina, die kommenden Freitag anläuft, stammt von hier. „Die Welt im Fluss“, heißt sie, die „Welt im Teich“ klingt nicht so gut. Da wird man also wieder sitzen, diesmal auf einer Bank im Museum. Wird auf die „Japanische Brücke“ blicken. Auf die Seerosen. Sich erinnern an den Garten, in dem alles begann. Und wieder versuchen, sich ganz einsam zu wähnen vor diesen Momenten, mit denen Monet sich und uns Ruhe verschaffen wollte.

Entstand mit Unterstützung der Albertina, der französischen und der Pariser Tourismusagentur.

Info

22 Jahre ist es her, seit in Wien eine große Monet-Einzelausstellung stattgefunden hat, im Oberen Belvedere. Jetzt folgt die Albertina mit 100 Werken, ein Drittel kommt aus dem Pariser Musée Marmottan Monet. Der Kurator ist Heinz Widauer.

Ab 9 Uhr morgens wird die Monet-Schau in der Albertina jeden Tag geöffnet sein, abends bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr. Die Laufzeit ist von 21. September bis 6. Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2018)

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