Freiheit: Verstörend unverstörend

Jeden Tag eine gesellschaftskritische Aktion hat Igor Grubić 2008/09 in Zagreb durchgeführt: So hat er etwa als Zeichen gegen die Wegwerfkultur eine schwarze Flagge auf einem Müllberg gehisst.
Jeden Tag eine gesellschaftskritische Aktion hat Igor Grubić 2008/09 in Zagreb durchgeführt: So hat er etwa als Zeichen gegen die Wegwerfkultur eine schwarze Flagge auf einem Müllberg gehisst.(c) Igor Grubić
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Den „Wert der Freiheit“ will eine allzu breit angelegte Gruppenausstellung im Belvedere 21 diskutieren. Ein Diskonter antikapitalistischer, postdemokratischer Betroffenheiten.

Ein großes Wort, gelassen ausgestellt, allzu gelassen. „Der Wert der Freiheit“ im Belvedere 21 (ehemals 21er-Haus) bestätigt die Vorurteile, die man gegenüber breit angelegten Gruppenausstellungen (über 50 Künstler) zu breit gefassten Begriffen (die Freiheit aus „unterschiedlichen Perspektiven“) haben kann: Aus jedem Diskursdorf kommt ein Anstandswauwau.

Es beginnt logisch eingangsnah mit der Überwachung: Man tritt ein in eines dieser Absperrband-Labyrinthe, die man vom Flughafen hasst und die das Schlangestehen wohl dennoch revolutioniert haben. Hier, in diesem abgelegenen Wiener Ausstellungspavillon, der immer schon um Besucher rang, wirkt das von der deutschen Künstlerin Eva Grubinger aufgestellte Hindernis plötzlich richtig archaisch-labyrinthisch, ornamental, dadaistisch und ist eine der wirkmächtigsten Arbeiten, weil auch eine von nur zwei interaktiven. Hier kann man sich selbst testen – taucht man unten durch ins Freie oder ordnet man sich sinnlosem Regelwerk unter?

Das ist zwar nicht wahnsinnig verstörend in diesem Umfeld, aber immerhin. Die relative Unverstörtheit, mit der man hier herausgeht, ist wahrscheinlich sowieso das Verstörendste an dieser Ausstellung von Kurator Severin Dünser. In der Dichtheit der Konzepte, die sich in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zwischen aktivistisch, ästhetisch und verschwurbelt gegenseitig neutralisieren, schaltet man bald ab. Schaut auf bei der Präsentation von Christoph Schlingensiefs altem Projekt „Kirche der Angst“, einer Glaubensgemeinschaft, die er gründen ließ, um die Angst als heutigen Götzen zu entlarven – derart aktuell, es schaudert einen. Man schaut auch auf bei Ashley Hans Scheirls immer öfter nicht zu übersehenden großen Selbstporträts als queere Malerin, die sich kräftig in die Tradition einmalt: In der berühmten feministischen Pose von US-Künstlerin Lynda Benglis etwa, die sich einst nackt mit Dildo als Werbung in einem Kunstmagazin schalten ließ. Scheirl malt sich dagegen mit Pinsel statt Dildo, voll Selbstbestimmung übers eigene Bild.

Tauben sind verboten

Die Freiheit der Selbstdarstellung würde eine eigene Ausstellung füllen. Wie jeder Aspekt, der hier angeschnitten wird – die Freiheit, die uns die Demokratie garantiert bzw. garantieren sollte. Die Freiheit, die uns der Konsum vorgaukelt: ?elja Kamerić thematisiert sie mit ihrem konsumkritischen Objekt „Liberty“, einer Werbeleuchtschrift, die mit langen Stacheln auf der Oberseite wohl Tauben am Niederlassen hindern sollte. Merke: Konsum ist böse, meine Freiheit ist die Grenze der Freiheit des anderen etc.

Ein durchaus treffendes, einprägsames, komplexes Bild für all das. Wird die Kunst dezidiert „politisch“, wird es oft dezidiert enttäuschend, etwa bei Anna Witts Versuch, Jugendliche in Dresden dazu zu bringen, eine neue Jugendbewegung zu gründen. Beim konstituierenden Sesselkreis fallen Plattitüden, von wegen man müsse einfach nur „natürlicher“ sein. Am Ende wird das „Manifest“ nicht à la Rudolf Steiner getanzt, sondern „performed“, eingerollt auf Rolltreppen zum Beispiel. Dafür ist der Name der „Bewegung“ genial: „Das radikale Empathieachat“.

Das wäre alles noch gar nicht schlimm, würde in Beliebigkeit und Bravheit nett dahinplätschern, ein Diskonter antikapitalistischer, postdemokratischer Betroffenheiten. Gegen Ende aber gerät der Parcours an die Grenze zur Obszönität: Wenn ein pathetisch in einer kapellenartigen Koje aufgebahrtes Objekt aus der Extremkunst Teresa Margolles', die oft mit Tüchern voll Blut in Südamerika ermordeter Frauen arbeitet, in die Nähe eines Films über die angebliche Marginalisierung von Rauchern im New Yorker Bankendistrikt gerückt wird.

Das ist dann doch verstörend. Auch die Gezähmtheit der Präsentation und der Post-Schlingensief-Künstler, die das nicht weiter zu stören scheint. Das ist wohl der Deal, den man machen muss, für die Freiheit, ausstellen zu dürfen. Denn es wird sie wohl geben, die radikale Kunst, die heute noch ästhetisch, philosophisch, politisch provoziert. Die in den heutigen Institutionen mit ihren Sicherheitsauflagen und politisch korrekten Rücksichten nicht existieren kann. Vielleicht kennen wir sie deswegen ja nicht. Vielleicht ist sie ja in den Untergrund verschwunden, ins künstlerisch formale Exil emigriert, in Ungarn, Polen, Russland. Sie von dort herauszuholen, um uns mit ihr zu wappnen, das wäre ein Auftrag, ganz konkret.

Bis 10. 2., Mi–So, 11–18 Uhr, Mi, Fr bis 21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2018)

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