Steirischer Herbst: Horrorheimat und Heimathorror, alles eins

Historische Dirndlschnittmuster nach Maria Strnad aus den 1950er-Jahren hat das Department of Ultimology herausgekramt, das sich im Grazer Kunstverein den verschwindenden Traditionen widmet, kritisch natürlich.
Historische Dirndlschnittmuster nach Maria Strnad aus den 1950er-Jahren hat das Department of Ultimology herausgekramt, das sich im Grazer Kunstverein den verschwindenden Traditionen widmet, kritisch natürlich.(c) Dep. of Ultimology
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Die neue Leiterin des Steirischen Herbst, Ekaterina Degot, legt wieder einen Schwerpunkt auf bildende Kunst und verwandelt Graz in die Kulisse für eine russisch dominierte Mini-Documenta. Auch schon eine Art Folklore.

Aus den Lautsprechern im Foyer dudelt wirklich der Erzherzog-Johann-Jodler, in der List-Halle selbst winden sich sogar die Bäume vor Peinlichkeit: Die Moskauer Künstlerin Irina Korina hat hier eine „Science-Fiction-Heimat-Installation“, inspiriert von Peter Rosegger, aufgebaut. Laute Gebläse blähen u. a. mit Edelweiß und Ästen bedruckte Plastikröhren zu madenartigen Gebilden auf, die entweder am Boden liegen oder sich wie Baumstämme gen Hallenhimmel strecken. Auf einer Seite blinkt dazu ein Schild „Gestern“, auf der anderen „Vorgestern“. Und man beneidet sowieso niemanden, der dieses alte, 1968 gegründete Avantgardefestival übernimmt, wo immer alle von diesem Gestern und Vorgestern reden: Erstens hat hier immer alles schon einmal stattgefunden, und zwar besser. Zweitens kommt niemand an der NS-Geschichte der „Stadt der Volkserhebung“ vorbei.

Vor allem nicht, wenn man mit diesem Ort nicht vertraut ist, wenn man die erste nicht in Graz geborene oder hier sozialisierte Herbst-Intendantin ist, wie es die aus Berlin kommende, in Moskau geborene Kuratorin Ekaterina Degot ist. Mit ihrer ersten Herbst-Ausgabe lässt sie uns an ihrem Kennenlernprozess teilhaben, sie entschied sich für schwer politische Kunst von der Ost-West-Achse und für die Form des stadterschließenden Parcours, den man von Biennalen bzw. der Documenta gewohnt ist.

Endlich einmal in der KPÖ-Zentrale

So kommt man immerhin endlich einmal in die etwas abgelegene, von Margarethe Schütte-Lihotzky gebaute KPÖ-Zentrale. Die verschwurbelte Installation von Heilpflanzen, Buddhismuszeichnungen und schrägen Anarchistenfilmen des ungarischen Duos Buharov lässt einen allerdings ähnlich verwundert zurück wie der regelmäßige Erfolg der Kommunisten in der Grazer Lokalpolitik. Der Schütte-Lihotzky-Bau ist aber neben einer sehr seltsamen, sehr miefigen ehemaligen Bar im Griesviertel mit einer sehr schrillen Video-Hologramm-Installation von Funda Gül Ozcan, in der angeblich irgendwann Erdoğan zu schluchzen beginnen soll, auch schon der exotischste Ausstellungsort. Schnittpunkt des „Volksfronten“ betitelten Kunstprogramms ist das Kulturzentrum der Minoriten, wo sich mit nur fünf Positionen ein Konzentrat dessen ergibt, was Degot interessiert: das Gemeinsame in Widersprüchen und Kontrasten zu finden, wie es sich in der Geschichte der ideologisch gegensätzlichen Aneignungen des Wortes „Volksfront“ schon ankündigt.

Schönheit und Schrecken, Betroffenheit und Humor treffen hier aufeinander. In einer großartigen Horror-Heimatfilm-Installation des Performanceduos Kozek Hörlonski etwa, das mit Medienkünstler Alexander Martinz an idyllischen Österreichwerbung-Plätzen unheimliche Filmszenen voll Psychopathen, Vampiren, Zombies gedreht hat. Das Highlight dieses Steirischen Herbst, der sich in seiner Flut an Kunst voll Symbolen, historischen Referenzen und Utopieverweisen zum Dickicht verzettelt, in dem alles austauschbar wird, sich zu einer Art betulicher Politkunst-Folklore verpuppt, deren Dominanz bei Biennalen vielleicht sowieso am besten das Vakuum des Populismus beschreibt. Alles bedeutet alles und nichts.

Da sitzt nun wie ein Beelzebub auf dem Dach der Grazer Arbeiterkammer ein Männchen aus Eisen. Die russische Gruppe Zip hat es dorthin gesetzt. Es streckt fest die Fäuste in die Luft, in einer hält es den sowjetischen Stern, wie die „Aurora“-Skulptur aus dem Heimatort der Künstler, liest man, in der anderen ein Gewehr. Darunter steht auf Serbokroatisch die Partisanenparole „Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!“. In der Nacht beginnen diese und die Augen des Männchens rot zu leuchten, wodurch die „Faschisten verscheucht werden sollen“ (die Serbokroatisch verstehen). Ein paar 100 Meter weiter, vor der Grazer Oper, hält die große Freiheitseisenfigur von Hartmut Skerbisch, die im Steirischen Herbst 1992 aufgestellt wurde, ihr „Lichtschwert“ in die Höhe. Nicht böse, nur freundlich grüßend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2018)

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