Die Liebe der Fotografin für die Kinder der Straße

Levitt zeigt, wie sich das Straßenleben der New Yorker Kinder über die Jahrzehnte verändert, fast verschwunden ist, hier 1980.
Levitt zeigt, wie sich das Straßenleben der New Yorker Kinder über die Jahrzehnte verändert, fast verschwunden ist, hier 1980.(c) Galerie Zander
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Die armen Kinder New Yorks ab 1938 waren ihr Thema. Die Albertina widmet Helen Levitt (1913–2009) jetzt eine große Ausstellung.

Irgendwann sieht man ihr dann doch in die Augen, in einem Porträt, das Walker Evans von ihr in der New Yorker U-Bahn gemacht hat. 1938 war das, Helen Levitt war damals 25 Jahre alt, begleitete den zehn Jahre älteren Evans, den Begründer der subjektiven Reportagefotografie, dem das Museum of Modern Art gerade die allererste Einzelausstellung eines Fotografen gewidmet hatte, dabei, als er sozusagen aus der Jackentasche heraus unbemerkt Porträts der U-Bahn-Passagiere machte. Eines davon zeigt Levitt selbst, und nein, natürlich schaut sie einem nicht direkt in die Augen, sondern vorbei.

Denn Levitt, der jetzt in der Albertina eine große Retrospektive gewidmet ist, ist als Person schwer fassbar, sie hat sich dem Persönlichkeitskult verwehrt, es existieren fast keine Zitate von ihr, nur wenige Porträts, es gibt keine Kinder, keinen Mann. Ihr in der Pionierzeit der „Street Photography“ begonnenes Werk sollte tatsächlich für sich selbst sprechen. Und das tut es auch, es ist so großartig wie vielschichtig. Man könnte Levitt sogar als Vorläuferin des Künstleraktivismus vorstellen, wollte sie doch ausdrücklich – zumindest das weiß man laut Kurator Walter Moser – nicht nur „gute Fotos“ schießen, sondern damit auch „Gutes tun“.

Außerdem könnte man sagen, dass sie mit ihrer Kamera im Alltag, im Zufall (selten nur aus dem Versteckten heraus wie Evans) immer das Theatrale, Bühnenhafte, Surreale suchte – eine Art präperformative Fotografie, die weit später erst begann. Das oben abgebildete Foto etwa wirkt wie von Erwin Wurm gestellt, das denkt man sich schon bei manchen Körperverrenkungen, die Levitt ab den späten 1930ern in Schwarz-Weiß festgehalten hat. 1959 begann sie, sehr früh, mit Farbfotografien. Das Museum of Modern Art zeigte diese 1963 als Diashow, eine der ersten Male, dass Fotografie im musealen Rahmen so ausgestellt wurde.

Neben vielen humorvollen Situationen, die allerdings in ihrer Exzentrik nie so weit gehen, wie die etwas jüngere Diane Arbus es getan hat, bemerkt man bald: Levitt hatte eine Vorliebe für Straßenkinder, für die sie durch die eher übleren Viertel der Stadt strich. Diese Kinder begleiten einen durch die Ausstellung. Nicht das verängstigte, ausgemergelte Armenkind, das Opfer. Nein, es sind immer spielende, die sich durch Klettern und Verstecken dieser Stadt bemächtigen. In diesem Spiel aber, das andere Klischee durchbrechend, aber ganz und gar nicht niedlich – sondern oft mit (Spielzeug-)Pistolen und Masken ausgerüstet (was nicht zufällig an die Surrealisten erinnert). So ermächtigt Levitt die Kinder, speziell auch die afroamerikanischen, ein durchaus politisch zu verstehendes Sujet, so Moser.

Fotos in Bewegung

Von einem schwarzen Buben handelt auch der Film, für dessen Drehbuch Levitt 1949 für den Oscar nominiert war („The Quiet One“). Schon vier Jahre zuvor ließ sie im Film „In the Street“ ihre Fotos erstmals in Bewegung geraten, er gilt als Vorläufer des Direct Cinema, Levitt überhaupt als eine der ersten unabhängigen Low-Budget-Filmerinnen. Ziemlich viel Ruhm dafür, dass sie nicht allzu berühmt ist. Sollte man ändern.

ZUR PERSON

Bis 27. Jänner, täglich 9–18, Mi, Fr bis 21 Uhr.Helen Levitt wurde 1913 in Brooklyn in eine jüdisch-russische Familie geboren, brach die Schule ab und wurde Fotografin. Bis auf eine Serie fotografierte sie ausschließlich in New York, wurde früh im MoMA ausgestellt und drehte ab 1945 Filme. Sie starb mit 96.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2018)

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