MAK: Jetzt spricht Wien (wieder) über Schönheit

Hier herrscht die Symmetrie! Stillleben mit Stiege, Tafel und Pfau – in der Ausstellung „Beauty“.
Hier herrscht die Symmetrie! Stillleben mit Stiege, Tafel und Pfau – in der Ausstellung „Beauty“.(c) MAK
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105 Jahre nach Adolf Loos' Schrift „Ornament und Verbrechen“ präsentieren Sagmeister & Walsh im MAK „Beauty“: eine im besten Sinn populäre Ausstellung, die erregte Debatten provozieren wird.

Was für ein Entrée: Durch ornamentalen Nebel in die Säulenhalle, unter rauschenden Plastiksackerln an einem prächtigen Pfau vorbei, die Stiege hinauf, und man steht vor der Büste des Heinrich von Ferstel, des Architekten der Votivkirche. An ihr affichiert: das „Schönheitsmanifest“, das Günther Nenning und Jörg Mauthe 1984 verfassten. Es beginnt mit dem Satz: „Das schöne Land Österreich wird immer hässlicher.“ Damals vielfach verspottet, hat es wohl dazu beigetragen, einiges Schöne in Wien (etwa die Biedermeierhäuser am Spittelberg) vor dem Abriss zu bewahren.

Ganz bewusst stellen sich der Vorarlberger Designer Stefan Sagmeister und seine amerikanische Kollegin Jessica Walsh in die Tradition dieses Manifests. Auch ihre Ausstellung hat etwas von einem Manifest, ist ein Plädoyer für die Schönheit, sie ist mit Lust polemisch. Und sie wirkt. Schon bei der Pressekonferenz brachte ein Kollege den Kitschverdacht auf, und man hörte Kunstkritikerinnen zürnen: Das sei doch populistisch!

Was immer sie mit diesem in letzter Zeit überstrapazierten Wort meinen, den Unmut dürfte eine der Schau zugrunde liegende These schüren, die jedem naturwissenschaftlich Gebildeten einleuchtet, für kulturkonstruktivistisch Gesinnte aber eine Provokation ist: nämlich, dass es so etwas wie einen Schönheitssinn gibt, der auch biologische Wurzeln hat. Das wird zu Füßen des Pfaus etwas gar simpel formuliert („Schönheit ist die Strategie vieler Tiere, um den besten Partner zu finden“), besser erklärt wird es in einem Video, das dankenswerterweise nicht nur die Rolle der Symmetrie betont – die ja allein nie Schönheit ausmacht, sonst wäre eine Kugel die schönste Plastik –, sondern auch die der Mustererkennung und der fraktalen Strukturen, wie sie das biologische Wachstum hervorbringt. Die ja etwa vielen Ornamenten auf vormodernen Häusern und Gebrauchsgegenständen zugrunde liegen.

Ist Braun die hässlichste Farbe?

Womit wir bei Adolf Loos wären – und bei einer der gelungensten Pointen der Ausstellung: Loos schrieb 1931, also 18 Jahre nach „Ornament und Verbrechen“ (1913), an die Glasmanufaktur Lobmeyr, sie möge doch seine Gläser mit kleinen Ornamenten versehen, mit Schmetterlingen, Fliegen und so weiter. Genau diese Zierbilder haben Sagmeister & Walsh nun im Auftrag der Firma Lobmeyr entworfen, und auch ein erklärter Freund der (mit Stolz sinnlosen) Ornamente grübelt vor ihnen: Wären just diese Gläser nicht ohne diese Bilder schöner?

Das ist ein Atout dieser Schau: Sie ist – wie schon die von Sagmeister & Walsh gestaltete „Happy Show“ – lehrreich, aber nicht doktrinär. Sie lässt offen, dass man bisweilen andere Schlüsse zieht, als sie zu fordern scheint. So steht auf einer Tafel: „Die hässlichste Farbe ist Braun. Die hässlichste Form ist das Rechteck.“ Dazu, neben Bildern wirklich übler Wohnbauten, die polemische Frage: „Was glaubt die Bauindustrie?“ Davor konnte man durch Einwurf von Jetons abstimmen, welche Form und welche Farbe die hässlichsten seien. Zumindest bis dato führen Braun und Rechteck nicht eindeutig . . .

Auch der sensorische Raum, in dem man sozusagen einer plebiszitär bestimmten Ästhetik (Regenwaldgeräusche, Sonnenuntergangsfarben, Zitrusduft etc.) ausgesetzt wird, enttäuscht – vielleicht, weil er allzu offensichtlich beruhigend, beschwichtigend wirkt. Angeregt rätselnd steht man vor der „Liminal Architecture“ von Philip Beesley: Wie fühlt man sich in diesen bizarren Formen zwischen kristallin und maritim?

Auf die häufige Kritik, dass Verschönerung nur Behübschung bedeute, antworten Sagmeister & Walsh etwa mit der Präsentation der von Friedensreich Hundertwasser dekorierten Müllverbrennungsanlage. Sie sei einst zum „Gespött der Intellektuellen“ geworden, schreiben sie, aber: „Wir würden lieber in der Nachbarschaft der Hundertwasser-Anlage als einer rein funktionalen Müllverbrennungsanlage wohnen.“

Das Pissoir wird zur Hochzeitskapelle

Schönheit darf, ja: muss über das Funktionale hinausgehen, sie darf sinnlos sein, und genau dadurch funktioniert sie. Wie ja das Pfauenrad just dadurch wirkt, dass es – wie laut Tante Jolesch die Schönheit des Manns – ein Luxus ist. Dieses Paradoxon zieht sich durch die Ausstellung. Sagmeister & Walsh bestätigten es etwa durch ihre Intervention in einer verwahrlosten Unterführung der Brooklyn-Queens-Schnellstraße, die Passanten für ihre Notdurft nutzten. Durch ein darauf gemaltes riesiges „Yes“ wurde aus der Toilette eine säkulare Hochzeitskapelle. Gelungene Umfunktionalisierung.

„Etwas kann nur wirklich schön sein, wenn es keine Funktion hat“, sagte Théophile Gautier: „Der funktionalste Raum im Haus ist das Klo.“ Der Spruch steht jetzt bei den MAK-Toiletten. Aber was ist mit Marcel Duchamps auch schon 101 Jahre altem „Fountain“, 2004 von 500 Künstlern, Kuratoren und Sammlern zum wichtigsten Kunstwerk des 20. Jahrhunderts gewählt? „Dieses Urinal ist voll funktionsfähig“, schreiben Sagmeister & Walsh unter eine Replik – aber verliert es nicht durch sein Avancement zum Kunstwerk die Funktionalität?

Auch darüber lässt es sich im MAK grübeln, man kann sich selbst dekorieren und fotografieren, man kann viel wandern, sehen und lesen, ein wenig riechen und tasten. Hören kann man das Rauschen der Plastiksackerln – und darin, wie's so unsere Art ist, unwillkürlich Muster suchen – sowie einen eigens komponierten „Beauty Song“ der kanadischen Band Siskiyou, er klingt andächtig, nervt aber mit der Zeit. Wie die Schrift, die Sagmeister & Walsh entworfen haben: Sie sieht aus wie eine Druckschrift, die so gern eine edle Schreibschrift sein möchte und sich zu diesem Zweck im Designshop ein paar (nicht essbare) Aufstriche gekauft hat.

Sonst alles gut und schön. Und klug. Man wird noch viel darüber reden.

Sagmeister & Walsh: „Beauty“, MAK, bis 31. März 2019. Die Ausstellung ist in Kooperation mit dem Museum Angewandte Kunst in Frankfurt entstanden, sie wird dorthin – und in einige andere Museen – wandern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2018)

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