Ein Vagabund und Volksmaler

Neben naiven Tier-Zeichnungen malte Niko Pirosmani auch Szenen wie diese namens „Tatarischer Obsthändler“, Öl auf Wachstuch.
Neben naiven Tier-Zeichnungen malte Niko Pirosmani auch Szenen wie diese namens „Tatarischer Obsthändler“, Öl auf Wachstuch.Bigano/Infinitart 2015
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In der Albertina wird der georgische Künstler Niko Pirosmani vorgestellt. Seine Karriere ist so dramatisch wie interessant – und scheint jetzt mit neuem Geld Fahrt aufzunehmen.

Diese Lebensgeschichte hat noch keinen unberührt gelassen und es ist kein Zufall, dass sie gerade den Nationalmaler Georgiens auszeichnet, eines Landes, das so stolz auf seine Geschichte und Geschichten ist. Nicht von ungefähr bezeichnen sich Georgier manchmal als „Österreicher des Kaukasus“, auch sie lieben die Künste, den Wein, das Feiern, es ist ein landschaftlich besonders schönes Land neben einem mächtigen Nachbarn, Russland.

Niko Pirosmanis Bilder tragen zu dem Mythos eines irgendwie gesegneten, vielleicht magischen, jedenfalls fröhlichen Volkes bei, sie erzählen dieses Märchen in starken Formen und leuchtenden Farben – archetypische Traumbilder, sagt die Schweizer Kuratorin Bice Curiger, die den hierzulande damals relativ unbekannten Pirosmani 1988 für sich entdeckte und ihn seither als einen Vorreiter der Moderne in Europa ausstellt – wie jetzt in der Albertina mit 30 Bildern vorwiegend aus dem Nationalmuseum in Tiflis.

Giraffen, Kamele, Bären, Hirsche, Füchse, Eber füllen die Bildflächen bis an die Ränder, die „Schauspielerin Margarita“ erscheint uns ganz in Weiß vor blauem Himmel wie ein Mädchenurtraum. Alle Motive wirken starr, archaisch, ikonisch, berühren uns in ihrer scheinbaren Naivität wie die Bilder von Henri Rousseau, der in etwa zur selben Zeit, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in Frankreich lebte und um 1900 von der französischen Avantgarde entdeckt wurde. Rousseau war ebenfalls Autodidakt, Zöllner. Pirosmani war Schriftsetzer, lebte aber als malender Vagabund. Ein genialer Sandler, hätte man in Wien wohl gesagt.

1862/63, so genau weiß man das nicht, wurde er in einem Dorf östlich von Tiflis als viertes Kind einer Landarbeiterfamilie geboren. Mit acht wird er Waise und vom letzten Arbeitgeber des Vaters, einer Weingutbesitzerfamilie, aufgenommen. Hier lernt er lesen, schreiben, wird zu Theateraufführungen mitgenommen und einem Maler vorgestellt, als man merkt, das Kind zeichnet gern. In Tiflis aber sollte er Setzer werden. Dort beginnt ein Leben aus unerfüllter Liebe, Alkohol und verkanntem Künstlertum, das 1969 von Giorgi Schengelaia verfilmt wurde: Ein georgischer Klassiker, der englisch untertitelt auf „YouTube“ zu finden ist.

Milch und Alkohol. Eine Schlüsselszene ist die Eröffnung des Milchgeschäfts in Tiflis 1894, ausgestattet mit seinen Bildern. Einige Jahre sieht es aus, als liefe alles in geordneten Bahnen. Doch um 1900 beginnt Pirosmani zu trinken, vernachlässigt das Geschäft, steigt ganz aus und schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Für Kost und Logis malt er in Gasthäusern, Ladenschilder oder auf Zuruf für die Gäste. Eine tiefdekolletierte Frau mit Bierglas etwa. Eine „Schönheit aus Ortatschala mit Fächer“. Stillleben voll Fleisch, Fisch und Weinflaschen. Landschaften mit den typischen Kwewri-Amphoren, in denen in Georgien der Wein gemacht wird.

Nur noch ein Zehntel dieses Werks ist heute erhalten, schätzt man. Großteils malte er es auf schwarze Wachstücher, die zum Abdecken, als Schutz vor Regen verwendet wurden. Ein billiges Material, das man leicht transportieren konnte, das Pirosmani aber auch für seine Malweise nutzte, die Farben haben starke Leuchtkraft und der Untergrund wurde manchmal freigelassen.

Antiakademisches Ideal. 1912 begannen georgische Intellektuelle, die mit der russischen Avantgarde in Moskau in Verbindung standen, diese Bilder in den Gasthäusern zu entdecken. Man begab sich regelrecht auf die Jagd nach diesem Prototyp eines authentischen Volksmalers, in dem die Künstler der kommunistischen Revolution ihr antiakademisches Ideal sahen. Die Kunde und einige Bilder von Pirosmani schafften es nach Moskau und beeinflussten dort das Werk von Chagall, Malewitsch, Gontscharowa etc. Die offizielle georgische Künstlervereinigung aber reagierte sehr distanziert auf diesen sozusagen aus dem Keller gezauberten neuen, noch dazu von den benachbarten Russen plötzlich so geschätzten Star. Offiziell aufgenommen wurde er nicht, es gab ein paar private Ausstellungen, das war es. Der große von Pirosmanis Anhängern für Paris geplante Durchbruch wurde vom Beginn des Ersten Weltkriegs durchkreuzt. 1918 starb der in einem Verschlag unter einer Haustreppe in Tiflis dahinvegetierende Maler an Schwäche und Armut, sein Grab ist unbekannt.

Mobiles Grabmal. In der Albertina-Ausstellung steht jetzt in der Mitte ein modernistischer, riesiger Tisch, eine georgische Tafel sozusagen, in dessen gläserne Oberfläche blaue Rosen eingelassen sind. Der japanische Architekt Tadao Ando hat ihn im Auftrag der Infinitart-Stiftung von Ciprian Adrian Barsan gemacht, einem in Wien lebenden rumänischen Unternehmer, der hier als Mäzen auftritt und auch selbst im von ihm hauptfinanzierten Ausstellungskatalog schreibt. Dieser Tisch soll eine Art „mobiles Grabmal“ für Pirosmani sein, sagt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Jedenfalls bezieht es sich auf ein Zitat Pirosmanis, das bei einem Besuch in der georgischen Künstlervereinigung gefallen sein soll: „Lasst uns einen großen Tisch kaufen und einen großen Samowar; wir werden Tee trinken, viel Tee, und von der Malerei, von der Kunst sprechen.“ Hier ist der Tisch also. Von hier aus soll, mit neuem Geld ausgestattet, Pirosmani jetzt den Rest der Welt erwandern.

Albertina Pfeilerhalle, bis 27. Jänner. Tägl. 9–18h, Mi. und Fr. 9–21h.

Steckbrief

Von Niko Pirosmani gibt es nur dieses einzige gesicherte Foto, 1916 in einer Zeitung erschienen.

Sein Geburtsdatum ist nicht gesichert, es war 1862/63. Er wurde früh Waise, von einer bürgerlichen Familie aufgezogen. Er lernte Setzerei in Tiflis und begann ein Wanderleben als Maler.

1912 wurde er von georgischen Intellektuellen und der russischen Avantgarde entdeckt und als Ideal eines Autodidakten gefeiert. Finanzieller Erfolg blieb dennoch aus.

1918 starb er als Obdachloser in Tiflis. Heute wird er als Nationalmaler Georgiens verehrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2018)

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