Hollywood im KHM: Die Welt von Gestern als liebevolle Freakshow

Amateurkuratoren im Glück: Filmregisseur Wes Anderson und Juman Malouf, Illustratorin und Autorin, vor dem „Sarg einer Spitzmaus“ aus der ägyptischen Sammlung.
Amateurkuratoren im Glück: Filmregisseur Wes Anderson und Juman Malouf, Illustratorin und Autorin, vor dem „Sarg einer Spitzmaus“ aus der ägyptischen Sammlung.(c) KHM/Rafaela Proell
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Der US-Regisseur Wes Anderson und seine Partnerin, Juman Malouf, wühlten sich, von ihrem Sinn für Exzentrik geleitet, durch die Sammlungen des Kunsthistorischen Museums.

Man hätte mit ihm gerechnet, aber ein „Jüngling mit Apfel“ des Renaissancemalers Johannes van Hoytl d. J. findet sich keiner im Wust der 423 Bilder und Objekte, die Wes Anderson gemeinsam mit seiner Frau, Juman Malouf, aus allen Enden und Ecken des Kunsthistorischen-Museum-Konzerns zusammengesucht hat. Dabei spielt dieses (fiktive) Altmeisterbild eine Hauptrolle in seinem nostalgisch-bizarren Historienfilm „The Grand Budapest Hotel“ von 2014, inspiriert von Andersons damaliger Stefan-Zweig-Lektüre inklusive rosa Demel-Aida-Confiserie-Schachteln und vieler zum Teil fast karikaturhafter Schiele- und Klimt-Werke.

Damit erschöpft sich Andersons Verbindung mit Wien, war aber Anlass genug für den Zeitgenossen-Kurator des KHM, Jasper Sharp, dem Meister der Exzentrik des Mainstream-Kinos eine Carte blanche für eine Ausstellung aus den Sammlungen auszustellen – damit ist er der Dritte auf der seit 2012 geführten Schiene Amateurkuratoren (nach US-Maler Ed Ruscha und dem britischen Autor/Künstler Edmund de Waal).

Anderson und Malouf scheinen Museum und Team mit ihrer Manie für Depotware finanziell und wissenschaftlich allerdings vor neue Herausforderungen gestellt zu haben. Was, wie man hört, in großer Liebe beiderseits geendet ist: Die in der Auswahl spürbar nahezu pathologische Furcht vor dem kunsthistorischen Kanon kann ja sogar im schlechtesten Fall nur als sympathische Schrulligkeit verstanden werden. Im besten Fall als Chance, Dinge zu sehen, die sonst nie zu sehen sind – zwei Drittel kommen aus den Depots von Theatermuseum, Kunstkammer, Schloss Ambras etc.

Kunst wird zur Requisite

Das mag natürlich großteils qualitative Gründe haben, kann man, von den beiden Amateuren so sicher nicht gemeint, aber auch als Respekt gegenüber den verschonten „Meisterwerken“ lesen. Denn die hier in einer aufwendigen Ausstellungsarchitektur gezeigten Dinge haben vor allem eine Rolle: die der Requisite in einem zur Ausstellung gefrorenen Porträt einer seit Jahrzehnten durchdachten signifikanten Filmästhetik.

Erkennt man einen Anderson-Film meist schon in den ersten Sekunden – an der artifiziellen, leicht schrillen Farbigkeit, an der extremen Symmetrie der Bilder, an den klaren Perspektiven, an den skurrilen Charakteren, am Spiel mit den Perspektiven etc. –, braucht man in der in der Kunstkammer platzierten Ausstellung, bis man sich in das System aus engen, stoffbezogenen Kojen und übervollen Vitrinen einfindet. Aber dann. Dann sieht man überall die Verweise und Zusammenhänge, wandelt man wie durch ein dreidimensional gewordenes Filmskript: Nach den „Royal Tennenbaums“ haben Anderson/Malouf hier eben auf die „Royal Habsburger“ zurückgegriffen, sie in einer künstlichen Setzkastenwelt der „Reichen“ arrangiert, auch so ein typisches Anderson-Filmmotiv. Genau wie sein Faible für das „erwachsene“ Kind, das er hier mit all den ernst blickenden Porträts der Habsburger-Kinder hemmungslos ausleben konnte. Sie füllen eine Wand. Genau wie für das Groteske, zugegen hier durch die Porträts der Familie des „Haarmenschen Petrus Gonslvus“ (um 1580), die uns gleich am Beginn empfängt. Nur eingetreten hier, wo alles übereinander- und durcheinandergeraten scheint und doch alles bis ins Letzte geplant ist. Etwa die immer wieder vorkommende, teilweise unterkniehohe Hängung auch von Kleinformaten – die Kinder sollen (und werden) es den Kuratoren danken.

Eine leere Vitrine dient als Zoom

Interessant ist das Spiel mit der Vitrine an sich, manchmal werden Bilder wie Objekte in die Wände versenkt, einmal wird eine der unverrückbaren historischen Vitrinen in ihrer ganzen fulminanten Länge einfach leer gelassen. Sie wird so zum Blickkanal, zum Zoom – auf der einen Seite für die Schrecklichkeit einer auf einem Igel sitzenden Bacchantin, einem „Fürwitzigkeit“ genannten Scherzgefäß aus 1590/1600, auf der anderen Seite für ein Porträt Kaiser Karls des Großen, allerdings nur in der Kopie nach Dürer. Trash im gewichtigen KHM-Rahmen. Wie das Renaissance-Bild des „Riesen Bartlmä Bona mit dem Zwerg Thomele“. Oder der der ganzen Freakshow den Titel gebende ägyptische „Sarg einer Spitzmaus“.

Durch einen der kleinen Durchblicke, die hier wie Rahmen für das eigene Staunen dienen, blickt man aber auch auf Zimelien wie das Smaragdgefäß von 1641, das bisher noch nie die „Weltliche Schatzkammer“ verlassen hat. Dahinter, in der „grünen“ Koje, hängt ein Shantungseidekleid, das Erika Pluhar 1978 als Hedda Gabler trug. Nur einmal ums Eck, dann sind wir bei den Tieren, Hauptpersonen in Andersons Trickfilmen wie „Fantastic Mr. Fox“ oder heuer „Isle of Dogs“. Ein weiteres Eck weiter dann die Huldigung der leeren – oder reinen? – Form: eine Vitrine voll historischer Koffer und Futterale, für ein „Kriegskleid eines koreanischen Prinzen“ oder für 100 weiße Straußenfedern. Was für eine Welt, die Anderson hier mit einer liebevollen Ironie beschwört, die man hierzulande nicht gewohnt ist. Denn diese Welt, um noch einmal „Grand Budapest Hotel“ zu zitieren, war schon verschwunden, bevor er sie betreten hat.

„Spitzmaus Mummy in a Coffin And Other Treasures“, bis 28. April, Kunstkammer, KHM.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2018)

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