Jüdisches Museum: Der „Hase“ ist gelandet – in Wien

Edmund de Waal und der „Hase“: Figuren, die berühren und berührt werden sollen.
Edmund de Waal und der „Hase“: Figuren, die berühren und berührt werden sollen. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Edmund de Waal brachte am Dienstag in einem Köfferchen eine ganz besondere Sammlung nach Wien, darin auch der berühmte „Hase mit den Bernsteinaugen“.

In einem schlichten Koffer kam am Dienstag ein Schatz nach Wien zurück, der eine der starken, großen Geschichten unserer Zeit erzählt, fast wirkt sie wie ein Märchen: Der Autor und Künstler Edmund de Waal brachte das einzig Heile, Identitätsstiftende zurück, das seiner Wien um 1900 so prägenden Bankiersfamilie, den Ephrussis, nach ihrer Demütigung und Vertreibung durch die Nazis geblieben war. Eine Sammlung japanischer Netsuke, historischer Figürchen aus Elfenbein, Holz, Walrosszähnen, die einst an Kimonos getragen wurden.

Erworben wurden sie Ende des 19. Jahrhunderts in Paris, vom schillernden Kunstmäzen Charles Ephrussi, der Marcel Proust als Vorbild für Swann in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ diente. 1899 schenkte dieser Charles die 260 teils skurrilen, teils entzückenden Miniaturen seinen Wiener Verwandten Viktor und Emmy zur Hochzeit. Als die Nazis das Palais Ephrussi am Schottenring stürmten und plünderten, versteckte das Dienstmädchen Anna die Sammlung in ihrer Matratze – und gab sie nach dem Krieg zurück. Der Bruder des 1945 im Exil verstorbenen Viktor, Ignaz, nahm sie mit nach Tokyo und vererbte sie später seinem Großneffen Edmund. Dieser begann, seine Familiengeschichte aufzuarbeiten – woraus ein Weltbestseller entstand, „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, eines der Netsuke zitierend.

„Ein seltsamer Moment“

Dieser berühmte „Hase“ kam vor zwei Jahren schon auf Kurzbesuch nach Wien, als Edmund de Waal eine Ausstellung aus den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums kuratierte. Jetzt kommt er, samt 178 Kollegen, um zu bleiben – zehn Jahre zumindest, als Leihgabe der De-Waal-Familie ans Jüdische Museum. Vor Direktorin Danielle Spera und dem ganzen Team breitete Edmund de Waal die Figuren am Dienstag im Archiv aus – kurz bevor er den Max-und-Trude-Berger-Preis des Museums bekam. Lage für Lage waren sie wie in einem waagrechten Setzkasten bewahrt. „A strange moment“, sagt er, und ein schmerzhafter. „Aber genau das Richtige, was zu tun ist.“

Es sei eine bewusste, politisch motivierte Entscheidung gewesen, die Sammlung loszulassen. „Nachdem klar war, dass wir das Familienarchiv mit Fotos, Briefen, Manuskripten, den Fächern meiner Großmutter etc. dem Museum schenken, entschieden wir uns, in diesem Moment, in dem so viel Feindseligkeit und Negatives über Migration und Flüchtlinge zu spüren ist, auch die Netsuke reisen zu lassen, um die Geschichte zu verstärken.“ Dazu passt, dass der andere Teil der Sammlung in zwei Wochen in London zugunsten des Refugee Councils versteigert wird; de Waals fast 90-jähriger Vater Victor ist in der Flüchtlingshilfe in England engagiert. „Und auch die Kinder sind sehr politisch involviert – wir haben gemerkt, dass es Zeit ist, etwas Dynamisches zu tun mit der Sammlung, sie nicht mehr nur in einer Vitrine zu Hause zu bewahren“, erklärt er.

Viele Museen weltweit hatten Interesse an den Netsuke angemeldet. War es die spezifische politische Situation in Österreich, die den Ausschlag gab? „Es ist eher eine globale Krise als eine österreichische“, meint de Waal. „Aber in Anbetracht der Geschichte der Sammlung hat sie hier am meisten Sinn. Vor allem, weil wir damit das Umgekehrte versuchen – normalerweise wird ja etwas von Österreich restituiert. Wir wollen jetzt etwas wieder zurückgeben, wir restituieren sie sozusagen wieder an Wien. Das ist ein kraftvoller, ermächtigender Akt, denke ich.“

„Es gibt nur diese kleinen Dinge zu tun“

Die Angst, so de Waal, dominiere zurzeit überall – in den USA, in England: „Es ist gerade schrecklich, dort zu leben, der Brexit ist eine Amputation von Europa.“ Man fühle sich machtlos, diese ganzen Dinge zu stoppen: „Es gibt nur diese kleinen Dinge, die man tun kann – wählen gehen, weiterschreiben . . . Auf seltsame Weise hat gerade diese Sammlung die Gabe, Menschen zu berühren.“ Und das durchaus wortwörtlich: Im Leihvertrag ist festgehalten, dass die Netsuke von den Besuchern auch berührt, auch in die Hand genommen werden dürfen. „Man ist schon ein bisschen nervös deswegen im Museum“, lächelt de Waal. Aber er habe Vertrauen, zu den Menschen, zu der Sammlung, die schon so viel erlebt habe. Im Herbst 2019 wird ihre Geschichte im Jüdischen Museum wieder erzählt werden, in der Ausstellung „Der Hase mit den Bernsteinaugen: Eine Zeitreise“. Wird es ein neues Buch geben?

„Im Moment arbeite ich nur im Studio an meinen Installationen. Aber es wird wieder ein Buch kommen, ich beginne gerade darüber nachzudenken. Das kann aber noch fünf Jahre dauern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2018)

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