Kunst und Kirche: Die coolen Kugeln der Karlskirche

Schaut wunderschön aus, erinnert an Christbaumkugeln, ist aber eine ökologisch nachhaltige Flugmethode, entwickelt vom Argentinier Tomas Saraceno.
Schaut wunderschön aus, erinnert an Christbaumkugeln, ist aber eine ökologisch nachhaltige Flugmethode, entwickelt vom Argentinier Tomas Saraceno.(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Einer der Stars des Kunstbetriebs, Tomas Saraceno, hat der Wiener Karlskirche ihre erste zeitgenössische Installation verpasst. Unbeeindruckt vom Genius Loci.

Während vor der Karlskirche gerade der Christkindlmarkt aufgebaut wird, haben sich zwei überdimensionale Christbaumkugeln scheinbar in die Kirche selbst verirrt, so könnte man denken, betritt man unbedarft den gewohnten barocken Prachtraum. Silbrig glänzendes Riesenspielzeug schwebt hier in der Luft. Und tatsächlich kommen hier auf mehreren Ebenen mehrere mächtige Player zusammen: Kirche, Kunst und Markt.

Hatte die vergangenen Jahre in der Wiener Innenstadt die Jesuitenkirche die nicht immer dankbare Rolle übernommen, Mittlerin zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche zu sein, gefolgt von einigen eher braven Ansätzen im Stephansdom, witterte jetzt auch die Karlskirche bzw. ihr Freundesverein die hier mögliche Chance zur Attraktivitätssteigerung. Nicht, dass die Karlskirche an sich so unattraktiv wäre, im Gegenteil, mit ihrem seit Restaurierung der Deckenfresken 2002 betriebenen Indoor-Panorama-Lift gehört man mittlerweile zu einer der Top-Touristen-Attraktionen der Stadt.

Doch was, wenn dieses, sorry, hässliche Gerüst irgendwann einmal weichen wird, woher dann das Zusatzgeld für die weiteren Restaurierungsmaßnahmen der Fischer-von-Erlach-Kirche lukrieren? So in etwa schildert der freie Kurator Moritz Stipsicz die Ausgangssituation, als er vor drei Jahren ins Spiel eingeladen wurde.

Womit wir in der Gegenwart wären: Seit heute hat Wien eine voraussichtlich ein Jahr währende Dauerinstallation von einem der zur Zeit meist-gehypten Kunststars, Tomas Saraceno. Und welch Glück, der Lift ist auch noch da, mit dem man an den beiden silbern-transparenten Ballons, die Saraceno hier platziert hat, elegantest vorbeischweben kann. Eine höchst persönliche Himmelfahrt zur höchst offiziellen des Hl. Borromäus an der Decke, einem der nicht ganz so großen Sympathieträger im katholischen Kanon, inklusive zwischenzeitlicher Erleuchtung durch die so betörend schöne wie hoffnungsfroh naive Öko-Vision eines der Seligen des internationalen Kunstolymps.

Schweben im heiligen Sonnenstrahl

Klingt sarkastisch, ist auch so gemeint. Denn man ist vom Verhältnis Kunst und Kirche einiges gewohnt – Hass und Innigkeit, Abhängigkeit und Ablehnung, jedenfalls Reibung. Aber an derart kommentarlose Gleichgültigkeit wie die, mit der Saraceno hier seine zwei märchenhafte Sphären-Bälle baumeln lässt, eher weniger. Das irritiert dann doch. Beim Pressetermin am Dienstag sprach er zwar von allen möglichen technischen Details, von seiner Idee einer ökologisch nachhaltigen, mit Sonnenkraft funktionierenden Alternative zu Leben und Flugverkehr, an der er mit seinen auf der halben Welt zu findenden Ballons arbeitet, die er gerne frei in den Himmel schweben lässt. Er sprach von seiner gerade in Paris im Palais de Tokyo laufenden Ausstellung, der man auch auf Instagram großartig folgen kann in ihrer begehbaren Modellhaftigkeit eines spinnenartigen Lebens in Zeiten eines zukünftigen „Luft-Zeitalters“ – was soviel heißt wie Leben in Netzen und fliegen in Blasen.

Spinnen hat Saraceno zumindest keine zusätzlichen ausgesetzt in der Karlskirche. Von der Kirche im Allgemeinen sprach der Argentinier, der in Berlin lebt und dessen Landsmann zufällig gerade Papst ist, sowieso kein Wort, auch nicht im Speziellen. Dabei wäre die als konservativ geltende Karlskirche, wo zeitweilig sogar das Opus Dei regierte, und die architektonisch orientalische (Macht-)Fantasien der Habsburger zulässt, doch ein assoziativ äußerst dankbarer Ort, heute übrigens, die Liberalen dürfen aufatmen, wieder vom böhmischen Orden der Kreuzherren mit dem roten Stern geführt. Es ist ein kleinerer Orden, der, anders als etwa die Jesuiten, bisher nicht durch große Kunst-Affinität aufgefallen ist. Vielleicht hat die argentinische Herkunft des Künstlers die Verantwortlichen ja beruhigt. Und sein, ja, stoischer Zugang zum Genius loci.

Was immerhin eines provoziert: Jeder darf selbst assoziieren, auf Teufel komm raus sozusagen. Ob die durch Sonnenwärme angetriebenen Flug-Kugeln vielleicht auch mit den Strahlen des Heiligen Geistes am Hochaltar funktionieren? Ob es sich doch nur um leere Sprechblasen handelt. Ob die Kugeln vielleicht an die rätselhafte kristallene Sphäre erinnern, die der „Salvator Mundi“ am teuersten bisher versteigerten Gemälde der Welt in der Hand hält, angeblich von Leonardo – und was diese Kugel denn dort überhaupt bedeutet. Oder ob Saraceno, immerhin ausgebildeter Architekt, die pneumatischen Architekturen kannte, mit denen die Avantgarde-Gruppe Haus-Rucker-Co schon im Österreich der 70er-Jahre vergleichbare ökologische Alternativen durchgespielt hat.

Wer bei all diesen Gedankenspielereien jetzt prinzipiell Lust auf Kunst und Kirche bekommen hat, wird ab 6. Dezember auch in der Jesuitenkirche wieder fündig werden: Da wird eine Lichtinstallation von Brigitte Kowanz eingeweiht, oder zumindest eröffnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2018)

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