Die Trockenlegung des Swingerklubs

„Wo Es war, soll Ich werden“ (Freud) – „Wo Ich war, soll Es werden“ (Motto einer Ausstellung von 9. bis 11.4.)

Es war ein sogenannter „Aufreger“, und es war gut so: Selten hat eine Kunstintervention für so interessante (Feuilleton-)Debatten gesorgt wie die temporäre Übersiedlung des Swingerklubs „element6“ in die Wiener Secession. Flankiert war sie von einer paradoxen Verwandlung des Mottos der Secession: Aus dem pathetisch-modernen „Der Zeit ihre Kunst – Der Kunst ihre Freiheit“ wurde das nüchtern-postmoderne „Der Kunst ihre Kunst – Der Freiheit ihre Zeit“.

Die Idee lag so nahe, dass es einen wundert, dass nicht alle draufgekommen sind – auf die Idee, das Setting umzudrehen. Der Schweizer Künstler Christoph Büchel hat eine Form der Libertinage, die heute tatsächlich von vielen Menschen praktiziert wird (auch das lernte man in der Debatte), in einen Ort der Kunst transponiert. Nun werden Studierende und Absolventen der Universität für angewandte Kunst im Gegenzug ihre Kunst in einen Ort der Libertinage transponieren: just in den Klub „element6“ in der Wiener Kaiserstraße, der derzeit in der Secession gastiert. Und auch das Motto dieser Aktion ist eine kluge Umkehrung: „Wo Ich war, soll Es werden“. Das Original findet sich in „Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit“, einer von Sigmund Freuds (nie gehaltenen) „Neuen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“. Die „Absicht“ der Psychoanalyse sei es, schreibt Freud, „das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, sodass es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden. – Es ist Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee.“

Diese Passage ist nicht nur programmatisch, sie ist auch bestens geeignet, um Pseudofreudianer (etwa der Schule um Wilhelm Reich) zu widerlegen, die so tun, als ob Freud auf die „Befreiung der Sexualität“ gesetzt hätte, als ob er je dafür plädiert hätte, „Triebe auszuleben“. Nein, deren Sublimation galt ihm als zentrales Element der Kultur. Und überhaupt: Das „Lustprinzip“, schrieb er im „Unbehagen in der Kultur“, sei „überhaupt nicht durchführbar, alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm; man möchte sagen, dass der Mensch ,glücklich‘ sei, ist im Plan der ,Schöpfung‘ nicht vorgesehen.“ Klingt nicht nach Editorial der Swinger-Vereinszeitung...

Was ist dieser Ort in der Kaiserstraße?“, fragen die Initiatoren der Ausstellung – und schlagen zwei Antworten vor: 1) „die Möglichkeit einer utopischen Verwirklichung eines ,ursprünglicheren‘, ,authentischeren‘ Verhältnisses zur Sexualität“; 2) „einfach das ,Andere‘, der ,Karneval‘ der Gesellschaft, an dem sexuelle Normen zwar ignoriert und zersetzt werden, jedoch nur, um als das ,Außen‘ der gesellschaftlichen Norm auf diese stabilisierend zu wirken“.

Man könnte auch fragen: Ist es ein Ort für ein „Fest“ im Freud'schen Sinn, also für den „gestatteten, vielmehr gebotenen Exzess“, den „feierlichen Durchbruch eines Verbotes“? Lässt sich ein solches Fest sublimieren? Und wie? Wird es dann zwangsläufig unbehaglich? Man darf sehr gespannt sein, was die Kunst ab 9. April an diesem Ort tut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2010)

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