Fastenzeit: Im Stephansdom fliegen die Steine

Ein schwebender Steinhagel im Mittelschiff von St. Stephan: der „Sky of Stones“ von Peter Baldinger.
Ein schwebender Steinhagel im Mittelschiff von St. Stephan: der „Sky of Stones“ von Peter Baldinger. (c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Es ist bereits eine Tradition: Seit 2013 lädt Dompfarrer Toni Faber Künstler ein, das Fastentuch zu gestalten. Heuer okkupiert Peter Baldinger auch gleich das Kirchenschiff.

Der erste Eindruck dieser Installation ist doch ein recht martialischer: Oben im Hauptschiff der Kirche schweben die Steine, vorn am Altar prangt ein glänzender Schild mit Kreuz. Im Dazwischen vibriert aber das Ambivalente dieser Symbolik – und das ist das Schöne an dieser neuen Intervention von Peter Baldinger im Stephansdom, die gestern Abend offiziell eröffnet, im wahrsten Sinne eingeweiht wurde: Sie ist ein Konversationsstück par excellence, durch das noch viele Predigten rasant bis elegant rauschen werden.

Und zwar zwischen genau 1332 Meteoriten hindurch. Ein wahrer Schwarm scheint hier ein wenig bedrohlich in sechs Meter Höhe zu schweben. In monatelanger Arbeit haben Baldinger und Freunde diese grauen Brocken aus Zeitungspapier geballt und mit Seidenpapier umspannt. Die Zahl ergibt sich aus einem kleinen religionsmystischen Zahlenspiel: Drei mal vier mal 111 lautet die hier aufgestellte Rechnung, bestehend aus der göttlichen Zahl, der irdischen Zahl und der Breite des Doms, 111 Fuß.

„Lasst lebendige Steine aus euch machen“

Auch das Motiv der Steine selbst ist nicht eindeutig. Es bezieht sich auf zweierlei – jedenfalls nicht auf den riesigen einzelnen Felsbrocken, der schon einmal in einer Wiener Kirche für Furore sorgte, nämlich als Steinbrener/Dempf & Huber einen solchen 2014/15 als Magritte-Zitat in der Jesuitenkirche aufhängten. Baldingers steinernes Geschwader zielt in andere Richtungen. Auf das Steingleichnis im ersten Petrusbrief: „Lasst euch selbst als lebendige Steine zu einem geistigen Haus erbauen, zu einer Priesterschaft, die Gott geweiht ist und die ihm, vermittelt durch Jesus Christus, Opfer darbringt, Opfer geistiger Art, an denen er Gefallen hat, nämlich den Opferdienst des ganzen Lebens.“ Und auf die Steine, die das Martyrium des heiligen Stephanus besiegelten, des Namenspatrons des Doms, des ersten Märtyrers des Christentums. Ungefähr 36/40 nach Christus wurde er vor den Toren von Jerusalem auf Befehl des obersten jüdischen Rats hin gesteinigt. Mit den Worten „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, starb er im Steinhagel. Baldinger lässt diesen hier gefrieren, wie in Ehrfurcht verharren. Denn sein Ziel, der heilige Stephanus, sonst am Hochaltar abgebildet, ist in unüblich wehrhafte Deckung gegangen.

Aufgelöste Bilder in Pixel, in Spiegel

Baldinger, der 1958 in Linz geborene Künstler und Grafiker, hat schon 2013 ein Fastentuch geschaffen. Das erste zeitgenössische Fastentuch für den Dom überhaupt, ein gepixeltes Kreuzbild. Jetzt hat ihn Dompfarrer Toni Faber wieder eingeladen: Wie ein Haute-Couture-Kettenhemd von Paco Rabanne fallen diesmal 612 spiegelnde Metallplättchen in Reihen schützend vor dem Altarbild herunter und verdecken es dadurch die Fastenzeit hindurch bis Ostern. Durch die unterschiedliche Prägung der Platten wird in der Reflexion sichtbar, was hier aber wirklich schützen soll: das Kreuz Christi, das Opfer Christi für die Menschen, die ja nicht ohne Sünde sind. Worauf einem gleich ein Steingleichnis nach dem anderen einfällt – und nicht zuletzt auch Monty Pythons Film „Das Leben des Brian“, in dem eine Steinigung zur Geschlechterfrage wird.

Das Ambivalente des Steins zwischen Schutz (Grundstein) und Bedrohung (Steinigung) habe ihn jedenfalls fasziniert, erklärte ein sehr zufriedener Peter Baldinger am Faschingsdienstag der „Presse“. Dass diese Steine nicht wie Sandsteine aussehen, denen sie der umgebenden Domarchitektur folgend eigentlich nachempfunden sind, sondern in der farbigen Beleuchtung fast an schnöde Luftballons erinnern können, ist ein Wermutstropfen. Aber man entschied sich zur lichttechnischen Steigerung der Dramatik – in der Fastenzeit werden die Steine violett bestrahlt, zu Ostern golden und bis Pfingsten rot. Was den ganzen Steinhagel zur Theaterkulisse entzaubert. Man sollte den Blick zurück unbedingt wagen, von vorn Richtung Riesentor. Da herrscht noch das Licht Gottes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2019)

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