Die starken, einsamen Frauen der Akademie

Die Frankfurter Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian war schon zu Lebzeiten berühmt: Im Kupferstichkabinett befindet sich ihre Miniatur „Schmetterling auf Blume“, um 1700.
Die Frankfurter Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian war schon zu Lebzeiten berühmt: Im Kupferstichkabinett befindet sich ihre Miniatur „Schmetterling auf Blume“, um 1700.Akademie der bildenden Künste
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Anna Reisenbichler durchforstete erstmals das Kupferstichkabinett nach Blättern von Frauen. Wie viele sind es?

Eigentlich, sagt Künstlerin und Kunsthistorikerin Anna Reisenbichler, hätte sie mit noch weniger gerechnet. Und das war nicht einmal ironisch gemeint: Auf der Suche nach Zeichnungen aus weiblicher Hand fand sie im Bestand des Kupferstichkabinetts bis 1900 nur 20 Stück. 20 von 20.000! Insgesamt 40.000 Zeichnungen werden in dieser der Akademie der bildenden Künste angegliederten Sammlung verwahrt, mehr als die Hälfte stammt aus der Zeit vor 1900.

Reisenbichler hat erstmals überhaupt die Karteikarten nach Frauennamen durchforstet. 15 fand sie, dazu besagte 20 Zeichnungen. Zwölf davon zeigt sie jetzt in einer Ausstellung im – zurzeit im Theatermuseum untergebrachten – Kupferstichkabinett. Kombiniert hat sie diese Blätter mit eigenen Werken, für die sie Zitate feministischer Künstlerinnen und Schriftstellerinnen auf gebrauchtes Papier stickte, das aus dem Bestand der Restauratorin des Kupferstichkabinetts stammt. Zum Beispiel Elfriede Jelinek: „Wenn einem nichts zugetraut wird, kann man auch alles machen.“ Sogar sticken. Als Frau. Ein Klischee schlechthin.

Diese hübschen (ja, das auch noch) Blätter rhythmisieren die Hängung der historischen, fügen diese in Format und Stil unterschiedlichen Werke zu einer Gesamtinstallation zusammen. Zwei „Stars“ sind hier vertreten: Die Malerin Angelika Kauffmann mit der Kreidezeichnung einer Sibylle von 1795 und Maria Sybilla Merian mit der Aquarellminiatur eines Schmetterlings auf einer Blume um 1700 (s. Abb.). Auffällig sind die vielen Erzherzoginnen und Prinzessinnen, sechs an der Zahl, die hier ihr Talent zeigten, wobei es sich bei all diesen Zeichnungen um Kopien von Vorlagen ihrer Lehrer bzw. Lehrerinnen handelt, erfährt man.

Wie kamen diese Künstlerinnen aber überhaupt zu der „Ehre“? Wurden doch erst ab Wintersemester 1920/21 Frauen an der Wiener Kunstakademie zugelassen? (Mit wenigen Ausnahmen aus der Zeit Maria Theresias etwa.) Die hier gefundenen Zeichnungen waren alles eingereichte Blätter zur Aufnahme als „Ehrenmitglieder“ der Kupferstecher-Akademie. Darunter befindet sich das Aquarell „Friedhof in Beirut“ (1870) von der einzigen „Orientmalerin“, Anna Lynker, die einer Wiener Porzellanmanufaktur-Dynastie entstammte und, natürlich, nur privat ausgebildet wurde.

Sie starb mit 27 Jahren an Überarbeitung

Eine wahre Entdeckung aber ist die vor Energie nur so strotzende „Heilige Familie“ von Elisabetta Sirani, einer Bologneser Künstlerin, Tochter eines Schülers Guido Renis, die als eine der ersten Frauen an der Accademia di San Luca in Rom aufgenommen wurde. Bald erhielt sie die ganze Familie, bekam Aufträge der Medici und gründete eine eigene Zeichenschule. Mit 27 soll sie an Überarbeitung gestorben sein, sie schuf rund 200 Ölgemälde, Kupferstiche und Zeichnungen. Hier hängt eine davon, das stramme Jesuskind scheint sich dem Schoß der strengen Maria gerade zu entwinden. Besonders liebte Sirani in ihren Bildern übrigens die „starken Frauen“, Judith, Cleopatra etc.

Dieses Blatt, diese Künstlerin sind Künderinnen aus der Vergangenheit für die heutige Akademie der bildenden Künste, die sich mittlerweile zur Vorzeigeinstitution in Sachen Geschlechtergewichtung in Europa gemausert hat: Drei starke Frauen stehen ihr vor, angeführt von Rektorin Eva Blimlinger (die sich erneut um die Stelle beworben hat, die Entscheidung wird dieser Tage fallen).

Seit 1996 kauft man auch jährlich Papierarbeiten von Absolventen und Absolventinnen der Akademie an, mit den 15.000 Euro, die der Verein der Freunde der bildenden Künste zur Verfügung stellt. Bei der letzten Jurysitzung wurden Werke von sieben Männern und zehn Frauen ausgesucht. Auch die Sonderausstellungen von Gemäldegalerie/Kupferstichkabinett sind heuer Frauen vorbehalten, zurzeit etwa noch Maria Legats monumentaler Antwort auf das Bosch'sche Weltgerichtstriptychon.

Der Künstlerinnen-Schwerpunkt war eine bewusste Entscheidung der neuen Direktorin, Julia M. Nauhaus, „da es Frauen im Kunstgeschehen nach wie vor schwerer haben als ihre männlichen Kollegen“. Warum genau das so ist, dafür nennen Nauhaus und Reisenbichler mehrere Gründe, u. a. dass Frauen sich häufig unter Wert schlagen oder dass es immer noch zu wenige Sammlerinnen gebe. Jedenfalls gebe es, so Nauhaus, noch einigen Nachholbedarf, damit Künstlerinnen sichtbarer werden – und bleiben.

Carte Blanche für Anna Reisenbichler, bis 10. Juni, Lobkowitzplatz 2, Wien 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2019)

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