Leopold-Museum: Kokoschka ist wieder in Wien gelandet

Kinder spielen in Kokoschkas Werk eine große Rolle, er hatte genaue pädagogische Konzepte: „Spielende Kinder“ (1909).
Kinder spielen in Kokoschkas Werk eine große Rolle, er hatte genaue pädagogische Konzepte: „Spielende Kinder“ (1909).(c) Wilhelm-Lehmbruck-Museum der Stadt Duisburg
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Nach 30 Jahren ist Oskar Kokoschka wieder mit einer großen Retrospektive in der Stadt seiner Jugend zu sehen. Unaufgeregt, aber präzise wird hier mit der Alma-Mär umgegangen und auch das Barocke der Spätzeit zelebriert.

Das Frühwerk Kokoschkas ist etwas für Wiener Warmduscher sozusagen, man fühlt sich zu sicher. Wer diesen frühen Kokoschka liebt, der liebt die Spitze der Avantgarde seiner Zeit um 1900. Die sperrigen Aktzeichnungen des Anfang-20-Jährigen, die das Hässliche so provokant suchen, waren am ersten Tag der „Wiener Kunstschau“ 1908 ausverkauft, er war der Star der Jungen damals, von Klimt und den Secessionisten leicht beunruhigt hofiert. Hier geht es also weiter mit der Kunst! Für den ähnlich jungen Egon Schiele etwa, der diese Akte sichtlich aufgegriffen hat. Zehn Jahre später aber war Schiele tot, sein intensives, spirituelles Werk früh beendet.

Kokoschka aber lebte, bis 1980, ihm blieb das Spätwerk nicht erspart, auch nicht die Nazis, die Diffamierung, die schwierige Rückkehr, auch nicht Ruhm und Eitelkeit – alle Ambivalenzen, die man in fast 100 Jahren Leben eben so ansammelt. Und er ließ fast keine aus – vom Frauenbild (Matriarchat, Alma-Puppe, Kindfrauen, Theatermorde) bis zum politischen Aktivisten, der seine Ideale auch dem Erfolg opferte.

Unglaublich prall ist die Erzählung dieses Lebens, unglaublich satt an Farbe und Formen diese Kunst. Blickt man auf im ersten Raum, von den frühen Zeichnungen – geht man ihm direkt in die Fänge: überlebensgroß, als Foto an der Wand. Hier kommt er gerade an, 1971 in Schwechat, der weißhaarige, weltmännische Kokoschka der Spätzeit, die Arme weit geöffnet − gleich wird er seine Retrospektive im Belvedere eröffnen. Er war die Symbolfigur, die das alte Wien Klimts mit dem neuen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat verband, der Gutmensch schlechthin, der glühende Europäer, auf ihn trifft das tatsächlich zu.

Die politisch korrekte Retrospektive

Jede Generation in Österreich hat sich ihre Retrospektive dieses Übermalers verdient. Diese hier also ist die politisch korrekte Version, die Widersprüche nicht verbirgt – Kuratorin Heike Eipeldauer zeigt etwa erstmals den Brief, in dem Ludwig Münz Kokoschka nach dem Krieg darüber aufklärt, mit welchen Nazi-Kollaborateuren er sich für seine Nachkriegskarriere da so alles arrangierte. (Worauf Kokoschka den Kontakt zum Freund abbrach.) 1953 gründete er mit Friedrich Welz dann die Schule des Sehens in Salzburg, verkaufte Wolfgang Gurlitt, damals Direktor des Linzer Museums, weiterhin seine Bilder, etwa das Dresdner Hauptwerk „Die Freunde“, das Kokoschka mit seiner Anarchisten-Pazifisten-Gruppe zeigt.

Das Bild war eines von neun, das bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München hing. Kokoschka war für Hitler ein besonderes Hassobjekt. Drei dieser neun Bilder sind jetzt im Leopold-Museum, auch der frühe „Vater Hirsch“. 25 der immer so beeindruckenden, frühen Porträts konnten Eipeldauer und Catherine Hug, Kuratorin vom Zürcher Kunsthaus, mit dem die Schau in Kooperation entstand, versammeln. Diese Porträts kamen auf Vermittlung von Adolf Loos zustande, der Kokoschka protegierte; auch das grandiose Doppelporträt der Kinder des Verlegers Richard Stein. Diese immer etwas gespenstischen Kinderporträts weisen auch auf Kokoschkas reformpädagogische Mission hin. Genauso wie das assoziative Schulbuch des Theologen Johann Amos Comenius von 1658, das der sechsjährige Kokoschka einst vom Vater bekam.

Interessant ist das Kapitel über Alma, deren Rolle als Femme fatale für Kokoschka zuletzt öfter kritisch hinterfragt wurde. Es entfährt einem tatsächlich ein Lacher, setzt man sich hier neben eine der Puppen-Nachbildungen auf eine rote Bank und sieht gegenüber Kokoschka, wie er sich in seinem berühmten Vorahnungsporträt erschrocken oder peinlich berührt die Hand an den Mund führt. Die Puppe war wohl weniger Sexfetisch als Requisite für die Selbstinszenierung des Theatermanns Kokoschka. Die von ihm beauftragte Puppenmacherin Hermine Moos wird bewusst als Künstlerin vorgestellt, eine seltene Gelegenheit.

Genau wie einige Leihgaben unter den 250 Gemälden und Zeichnungen: das abgenommene Wandfries aus Almas Semmering-Villa etwa (Sammlung Dichand). Oder das acht Meter breite, späte Deckengemälde aus der Londoner Courtauld Gallery. Nicht zu sehen bleibt das intensivste Liebesbild, die „Windsbraut“. Die durfte im Dezember nicht einmal von Basel nach Zürich reisen. Zu heikel. So bleibt mehr Raum für Kokoschka, den Politaktivisten, der eine nur mit Picasso zu vergleichende Strahlkraft hatte, die sich auf folgende Künstlergenerationen auswirkte. Und wieder sind es Kinder, die in vielen der Plakate, die er teils auf eigene Kosten im Londoner Exil in den U-Bahnen aufhing, als Kriegsopfer im Mittelpunkt stehen. Es sind diese hoch spannenden, so noch nie thematisierten Stränge durch dieses Werk, die diese Retrospektive zu einer so heutigen machen.

Kokoschka. Expressionist, Migrant, Europäer. Bis 8. 7.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2019)

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