Die Rückkehr der Klassiker in der Wiener Kulturszene?

Martin KuŠej. Der neue Burgchef hat Schiller, Ibsen, Strindberg, ­Grillparzer inszeniert.
Martin KuŠej. Der neue Burgchef hat Schiller, Ibsen, Strindberg, ­Grillparzer inszeniert. Robert Fischer
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Martin Kušej startet im Herbst am Burgtheater. Auch sonst kündigen sich mehrere große Veränderungen in der Wiener Kulturszene an.

Zimperlich darf ein Intendant nicht sein. Wenn er ein Ensemble erneuert und ein Teil der bisherigen Mannschaft weichen muss, lädt er zum Beispiel eine Schauspielerin, die schon 20 Jahre an der Burg ist, zu einem Gespräch ein, teilt ihr mit, dass ihr Engagement zu Ende ist, und fragt: „Sie haben eh keine Kinder, oder?“ Was im Burgtheater die letzten Monate vor sich gegangen ist, war für viele Künstler nicht einfach. Aber auch die Administration soll kräftig reduziert werden. All das ist arg. Einerseits. Vielleicht aber auch notwendig, andererseits. Zehn Gehminuten vom Burgtheater entfernt ist das Volkstheater, dessen Zukunft in den Sternen steht. Volker Schmidt, ein witziger und gewitzter Schauspieler und Dramatiker aus Klosterneuburg, der teilweise in Berlin gelebt hat und sich gern mit aktuellen Themen wie dem Jihad beschäftigt, schrieb 2015 zum Ende der Ära Michael Schottenberg – das mit einem Einakterabend begangen wurde – unter dem Titel „neustiftgasse 1“ ein Minidrama über den Verkauf der First-Class-Immobilie Volkstheater an Private: „Innenstadtlage, exklusiv, mit Stil“, aber ohne Badwanne, was die Frau des Kaufinteressenten stört.

Zwischen Sein und Nichtsein

So gravierend wird es wohl nicht kommen, aber das Volkstheater schwebt zwischen Sein oder Nichtsein, als reines Sprechtheater wird es kaum überleben. Martin Kušej muss und wird also das Burgtheater umkrempeln. Bei einer Premiere im Akademietheater sah man jüngst den TV-Entertainer Harald Schmidt, der auch als Schauspieler („Warten auf Godot“, Bochum) erfolgreich war. Er würde Scharen von Besuchern locken. Ein Weg könnte aber auch die Rückkehr zu den Klassikern sein. Performance, Postdramatik seien ihm weniger ein Anliegen, so Kušej. Theaterschaffen aus den ehemaligen Oststaaten könnte stärker gepflegt werden, Schauplatzwechsel: Endlich wird das Wien-Museum erneuert und umgebaut. Auch das Künstlerhaus wird irgendwann fertig werden.

Was fehlt, ist Zusammenarbeit der Institutionen, der Museen, vielleicht aber auch der Theater und der Museen. Die Verantwortlichen der Hochkultur scheinen noch immer zu sehr im elfenbeinernen Turm zu verweilen. Die wichtigsten Neubesetzungen gibt es in den nächsten Jahren im Musikbereich, wo Wien noch immer Weltgeltung hat. 2022 löst der norwegische Opernregisseur Stefan Herheim Roland Geyer im Theater an der Wien ab. Thomas Angyan verlässt nächstes Jahr den Musikverein, Stephan Pauly, Direktor der Alten Oper Frankfurt, früher Mozarteum-Geschäftsführer folgt ihm. An der Wiener Staatsoper löst 2020 Bogdan Roščić Dominique Meyer ab. Dass Roščić eine „Staatsoper 4.0“ kreieren soll, gab Rätsel auf. Ob damit die Erneuerung der Inszenierungen, die in der Staatsoper teilweise sehr alt sind, und der Ausbau neuer Medien gemeint sind? Roščićs erster Spielplan dürfte jedenfalls schon fixiert sein.

Der 1964 in Belgrad geborene Musikwissenschaftler war in sehr verschiedenen Bereichen erfolgreich: Popkritiker, Ö3-Chef, Managing Director von Universal Austria, bei der Deutschen Grammophon, die Stars wie Anna Netrebko vertritt, zuletzt Direktor von Sony Classic. Die Verwertungsbranche hat in den letzten Jahren starke Umbrüche erlebt, von der CD zum Download, von der DVD zum Stream. Der Musik sind neue Fans zugewachsen, nicht nur jene, die sich vom Schauspiel abwandten, sondern eine Generation, die hauptsächlich mit Popmusik aufgewachsen ist. Der Klassiksektor funktioniert, der Popsektor ist ein Geschäft für Eventmacher. Das Sprechtheater und die Offszene leben von der öffentlichen Hand. Traurig. Bisher galt als fix, dass die Staatsoper sich nach den Wiener Philharmonikern richten muss. Das schränkt den Spielraum für Neuinszenierungen ein. Am 4.  Mai wird man vielleicht mehr erfahren, Roščić spricht bei den Harnoncourt-Tagen in St. Georgen mit Dirigentensohn Franz Harnoncourt.

("Die Presse-Kulturmagazin", 12.04.2019)

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