Cattelans Tauben, jetzt stubenrein

Da sitzen sie im Theseustempel, abgezählte 15 Zeugen des spektakulären Auftritts in Venedig 1997.
Da sitzen sie im Theseustempel, abgezählte 15 Zeugen des spektakulären Auftritts in Venedig 1997.(c) Cattelan/KHM
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Die jüngste Intervention des Kunsthistorischen Museums im Volksgarten bringt einen seltenen Stargast nach Wien: den italienischen Konzeptzyniker Maurizio Catt.

Das ist allerdings das Netteste, was Maurizio Cattelan uns schicken konnte. Vielleicht weil es dieser Gottseibeiuns der Gegenwartskunst nicht eigenhändig tat, sondern es sich um eine Leihgabe der Fondazione Prada handelt, mit der das Kunsthistorische Museum eine Kooperation zur Weitergabe der Wes-Anderson-Ausstellung pflegt. Jedenfalls ist dieser erst zweite Soloauftritt Cattelans in Wien schon provokant harmlos. Kein Skandal, überschaubarer Zynismus, eher schrullige Geste eines „Hofnarren“, wie KHM-Kurator Jasper Sharp ihn bezeichnete. Schaut man also (bei freiem Eintritt) im Theseustempel im Volksgarten vorbei, sieht man erst einmal – nichts. Nur ganz oben, auf dem Gesims, hocken sie, stumm und starr, die Boten des Verderbens für das Kulturerbe weltweit: Tauben.

Radfahren im Secessions-Keller

Genauer gesagt 15 von ursprünglich 2000 ausgestopften Tauben, mit denen Cattelan 1997 den Zentralpavillon der Biennale Venedig besiedelte. Im Innenraum, an der Fassade – überall saßen sie damals samt ihrem zersetzenden, in diesem Fall gemalten Dreck. Damals war das noch ein ziemlich heftiger Akt, denn der 1960 in Padua geborene Konzeptzyniker war noch relativ unbekannt und setzte das alle zwei Jahre hier einfallende Kunstvolk frech mit lästigen Schmarotzern gleich. „Turisti“ hieß die Installation. In Wien funktioniert das eher als Zitat von Cattelans einstigem Ruhm. Im selben Jahr der Tauben-Biennale war er übrigens erstmals in Wien solo zu sehen, im Keller der Secession. Dort ließ er zwei Aufseher in Cattelan-Verkleidung auf Hometrainer-Fahrrädern radeln. Und damit je eine Glühbirne speisen, die den Raum dann – je nach Fitness des Wärters – mehr oder weniger hell erleuchtete. Was jetzt auch nicht unbedingt zu seinen besten Arbeiten zählte.

Wien scheint Cattelan nicht sonderlich am Herzen zu liegen. Nicht so wie Mailand etwa, wo er 2011 vor der Börse einen monumentalen marmornen Stinkefinger aufstellte (die übrigen Finger sind einfach abgesägt). Allerdings richtete sich die Geste nicht gegen das Gebäude, sondern in die andere Richtung, gegen den Weltrest. „L.O.V.E“ heißt dieses wie immer bei Cattelan sehr interpretationsoffene Monument, das ursprünglich nur temporär hier stehen sollte. Nach anfänglicher Empörung der Börse allerdings bis heute dort steht und mittlerweile Touristenattraktion ist. Womit wir wieder bei Cattelans Turisti-Tauben wären, die sich in beiderlei Gestalt auch hier niederlassen.

Präparierte Tiere tauchen von Anfang an im mittlerweile schon 30-jährigen Werk des Künstlers auf. Beginnend bei der Puppenhausszene eines depressiven Eichhörnchens, das sich an einem Küchentisch sitzend anscheinend gerade das Leben genommen hat – mit „Bidibidobidiboo“, einen Kinderzauberspruch zitierend, bezog Cattelan sich 1996 auf seine triste Kindheit in einem Arbeiterhaushalt. Er begann zu jobben, unter anderem in einem Leichenschauhaus, und in seinen frühen 20ern schon künstlerisch zu arbeiten. Seine erste Einzelausstellung 1989 sagte bereits alles über diesen Weg, der mit der inszenierten Verweigerung des Markts diesen so geschickt und so humorvoll wie kein anderer bediente: Als die Vernissage-Gäste zur Galerie kamen, war diese geschlossen – „Torno subito“ stand auf dem Schild, „Komme gleich“. 2001 tat er das leibhaftig sozusagen, als er sich selbst als lebensgroße Wachsfigur aus einem Loch im Boden eines Museums in Rotterdam auftauchen ließ – der schalkhafte, respektlose Einbrecher ins Kunstsystem. Dafür liebt man ihn. Er ko-gründete die „Wrong Gallery“ in New York, eine Mini-Schaufenster-Galerie, und das bis heute produzierte Kunstmagazin „Toiletpaper“, das nur aus knallbunten Bildern besteht, aus starken Bildern, für die er schließlich auch über die Kunstszene hinaus bekannt wurde.

Trump wollte Cattelans Gold-Klo nicht

Seine Figur von Papst Johannes Paul II., wie er von einem Meteoriten erschlagen zu Boden sinkt – „Die neunte Stunde“ – wurde 1999 zum Skandal. Genauso wie 2001 die Figur eines zum Kind geschrumpften, mit gefalteten Händen knienden Hitler, die noch dazu im ehemaligen Warschauer Ghetto ausgestellt wurde. 2016 wurde „Er“ dann um 17,2 Millionen Dollar versteigert. Da hatte sich Cattelan offiziell schon in die „Pension“ zurückgezogen gehabt – mit seiner Retrospektive „Alles“, 2011 im Guggenheim in New York, verabschiedete er sich offiziell vom Kunstbetrieb, ihm falle einfach nichts mehr ein. Um bald darauf, natürlich, wieder zu liefern: Vor drei Jahren, mitten im Trump-Wahlkampf, stellte er der Allgemeinheit ein echtgoldenes Klo im Guggenheim zur Benützung bereit. Titel: „America“, die Warteschlangen waren enorm; 2018 antwortete das Guggenheim auf die Leihanfrage des Weißen Hauses für ein Van-Gogh-Bild mit dem Vorschlag, stattdessen gern das 18-Karat-WC zu installieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2019)

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