Im Zweifel Venedig: Die Kunst der Ambivalenz

Denkmal des tödlichen Dilemmas der Migrationskrise: das Schiffswrack des schrecklichen Mittelmeer-Unglücks 2015. Christoph Büchel stellte es ins Arsenale.
Denkmal des tödlichen Dilemmas der Migrationskrise: das Schiffswrack des schrecklichen Mittelmeer-Unglücks 2015. Christoph Büchel stellte es ins Arsenale.APA/AFP/TIZIANA FABI
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Mit der großen Ausstellung „Mögest du in interessanten Zeiten leben“ gelang dem New Yorker Kurator Ralph Rugoff ein schöner, bildmächtiger Wurf, der die Möglichkeiten der Kunst feiert, uns zu verunsichern, nicht zu belehren.

Da stehen plötzlich alle, erstarrt im wirren Wirbel der größten Kunstbiennale der Welt: Im Halbdunkel, genau unter der Kuppel des zentralen Ausstellungs-Pavillons in den Giardini erhebt sich etwas – und tanzt, klein, wild, ungezähmt. Ein Nichts von einem Dämon, bestehend nur aus Luft und Licht, ein Hologramm des französischen Künstlers Cyprien Gaillard (*1980), das den 1937 von Max Ernst gemalten „Hausengel“ lebendig werden lässt. Hausengel, das sei natürlich eine ironische Bezeichnung, so der deutsche Surrealist in Paris, und zwar für „eine Art Trampeltier, das alles, was ihm in den Weg kommt, zerstört und vernichtet“. Womit Max Ernst damals die Bombardierung Guernicas von der verdeckten deutschen Luftwaffe meinte.

Wofür dieser „Hausengel“ heute steht, die Antwort darauf fällt wohl je nach Herkunftsland und Besucher – und die Biennale Venedig hatte zuletzt über 600.000 davon – anders aus. Nur darauf, dass so ein Engel gerade tanze, können sich wohl alle einigen. Oder gleich mehrere, parallel. Ralph Rugoff, der heurige künstlerische Leiters der Biennale, hat mit seiner programmatischen Ausstellung in Arsenale und Zentralpavillon das Nervengeflecht unserer Zeit der galoppierenden globalen Entgewisserung, in der jede Wahrheit sofort auch eine gegenteilige produziert, in der es politisch, ökologisch, kulturell keine Wege mehr ohne gravierende Nebenwirkungen gibt, gut getroffen.

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