Emil Schult: Weiße Streifen, Weißwein, 2000 Weiße Alben

„Autobahn Comic“ (Öl auf Leinwand) von Emil Schult. Er war ab 1972 Mitglied der Düsseldorfer Band Kraftwerk und gestaltete ihre Covers, etwa der legendären Alben „Autobahn“, „Radio-Aktivität“, „Trans Europa Express“ und „Computerwelt“. Den Text von „Autobahn“ hat er auch geschrieben.
„Autobahn Comic“ (Öl auf Leinwand) von Emil Schult. Er war ab 1972 Mitglied der Düsseldorfer Band Kraftwerk und gestaltete ihre Covers, etwa der legendären Alben „Autobahn“, „Radio-Aktivität“, „Trans Europa Express“ und „Computerwelt“. Den Text von „Autobahn“ hat er auch geschrieben.(c) Emil Schult
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Was wäre das Werk von Kraftwerk (am Montag in der Wiener Arena) ohne die Bilder von Emil Schult? Die Schau „Hyper!“ in Hamburg zeigt sie – und viel andere Kunst, die sich aus den Images des Pop nährt oder diese füttert.

Natürlich waren wir fasziniert von den Autobahnen und davon, dass diese Straßen Industriezentren miteinander verbinden“, sagt der deutsche Maler und Musiker Emil Schult. „Die Bilder waren Kommentare zum Fortschritt.“

Schult, der bei Beuys und Gerhard Richter studiert hatte, war ab 1971 Mitglied der Düsseldorfer Band Kraftwerk. Er schrieb Liedtexte, spielte elektronische Instrumente, gestaltete die Covers zu den Alben, diesen Manifesten einer zeitlosen Moderne.

„Fahrbahn ist ein graues Band, weiße Streifen, grüner Rand“, schrieb Emil Schult. Und: „Vor uns liegt ein weites Tal, die Sonne scheint mit Glitzerstrahl.“ Genau das malte er. Die Kunst von Kraftwerk ist längst – spätestens seit ihrer Konzertserie im New Yorker Museum of Modern Art – musealisiert. Doch wenn man in einer Ausstellung, ganz ohne 3-D und Cyber, vor Schultes „Autobahn“-Cover oder seinem „Autobahn Comic“ steht, sticht einem wie zum ersten Mal der Glitzerstrahl der Sonne ins Auge, die hinter einem grünen Hügel eindeutig nicht unter-, sondern aufgeht. Hier herrscht eine morgendliche, sehnsüchtige Stimmung. Nein, nicht das „dawning of the Age of Aquarius“, das war fünf Jahre vorher, aber doch ein Aufbruch in eine helle Zukunft, eine neue Zeit.

„Idee eines Goldenen Zeitalters“

Eher nach Wassermann sieht eine zweite Serie von Emil Schult aus, die ebenfalls in der Ausstellung „Hyper!“ in den Hamburger Deichtorhallen gezeigt wird. Porträts von Avantgardisten der elektronischen Musik, etwa Bob Moog oder Karlheinz Stockhausen, bunt und breitflächig, in Formen, die im Begriff der Auflösung sind – psychedelisch, wie man einst sagte. Auch naiv, aber auf andere Art als die Kraftwerk-Bilder. Zu denen wieder die liebenswert schlichten Sätze gut passen, die Schult sagt: „Der Dialog zwischen Mensch und Maschine wird immer wichtiger.“ Oder: „Werden wir es schaffen, der Idee eines Goldenen Zeitalters neue Kraft zu verleihen?“

Solche Sätze sagt er in einem der vielen Interviews, die Kurator Max Dax für den Katalog geführt hat. Dax, Ex-„Spex“-Herausgeber, ist obsessiver Fragesteller und Zuhörer, nicht so sehr Theoriebildner. Das unterscheidet seine Pop-Kunst-Ausstellung etwa von jener, die sein Kollege Diedrich Diederichsen vor zehn Jahren in Graz gezeigt hat: „Schere – Stein – Papier“ war fast programmatisch antisinnlich, dekonstruktivistisch. Post-Punk mit Konzeptverstärker. Anti-Pop.

Nein, die Schau „Hyper!“, wiewohl weniger zwanghaft, ist trotz Rufzeichens auch keine Verherrlichung des Pop, feiert keine Idole. Sie zeigt sie eher zerkratzt und beschmiert, wie die Poster von Britney Spears, die Phil Collins (der Künstler, nicht der Sänger) fixiert hat. Die ideale Fläche für jede Projektion ist die Tabula rasa, das weiße Blatt, annähernd verwirklicht 1968 von Richard Hamilton in seinem Cover für das Doppelalbum der Beatles, das „The Beatles“ heißt: weiß, mit dem Titel in Blindprägung und einer Seriennummer. Jedes Exemplar nummeriert, ein Unikat, das, geprägt von Flecken, Rissen, Notizen, über die Jahre an Individualität gewinnt. Konzeptkünstler Rutherford Chang sammelt diese Alben, über 2000 hat er schon. In der Installation „We Buy White Albums“ sind sie in Hamburg ausgestellt: eine bestechend dreckige Vorlage für die Meditation über Alter und Charakter, Fläche und Bild. Sie ist ein zentraler Teil der Schau.

Doch die Aura von „Hyper!“ wird durch eindringlichen Gesang geprägt, der alle Räume zu durchfluten scheint: „I was born a loser“ und „I was born a winner“, Zeilen aus einem Rocksteady-Song, den Alton Ellis in zwei Versionen aufnahm, als „Black Man's Word“ (mit „loser“) und „Black Man's Pride“ (mit „winner“). In Endlosschleife bilden sie den Soundtrack zu Cyprien Gaillards Film „Nightlife“, in dem Pflanzen wogen, Drohnen fliegen und ein Baum gepflanzt wird. Zu all dem gibt es Assoziationen aus der afroamerikanischen Geschichte. Die Bilder und diese so leisen wie durchdringenden Schreie wirken aber auch ohne Erklärung.

Und wieder ein Klavier in Trümmern

Deutlich mehr auf Referenzen angewiesen ist etwa das Eck der Berliner Künstlergruppe Die tödliche Dosis. Hier besticht besonders die Idee, dass diese sich 1987 in italienischem Weißwein aufgelöst habe. Eine der 500 Flaschen steht jetzt im Museum. Genauso wie ein Klavier, das die Münchner Band Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.) zur Eröffnung der Ausstellung zertrümmert hat, in einem Reenactment historischer Fluxus-Happenings – ein hübsch respektloser Kommentar zur Kunstgeschichte.

Höchst respektvoll fing dagegen der bosnische Künstler Radenko Milak im Auftrag von Max Dax „planetarische Ereignisse“ der Popgeschichte in Aquarellen ein: Obama, wie er Bob Dylan die Medaille umhängt; Elvis und Nixon beim Handshake; Britney Spears und Madonna beim Küssen und so weiter. Darunter auch das Grabmal-Cover von „Closer“, dem nach dem Tod des Sängers Ian Curtis erschienenen zweiten Album von Joy Division. Es behält auch in dieser systematisch entseelten Ikonengalerie seine niederschmetternde Wirkung, wohl weil es durch die Kenntnis der Musik aufgeladen ist. Ob die grauen Blöcke auf Julien Lescoeurs „Aérolithiques“-Fotos auch so bedrohlich wirken würden, wenn man nicht auf der Tafel lesen könnte, dass sie von Joy Division inspiriert sind? Oder haben umgekehrt solche Blöcke, die einen in ihre öde Düsternis zu saugen scheinen, einst Ian Curtis inspiriert?

Gewiss, solche Grübeleien über Synästhesie, über die Übersetzung akustischer in optische Signale sind aufgelegt in dieser Ausstellung. Sie reizen eben fast jedes Hirn. Nur über ein Stück will man nichts mehr sehen, hören und lesen: über John Cages „4'33'“. Darüber ist wirklich alles gesagt worden, was darüber zu sagen ist, und mehr. Schweigen wir fortan darüber. Bitte.

„Hyper! A Journey into Art and Music“: Hamburg,
Deichtorhallen, bis 4. August.
Kraftwerk live: Arena Wien, 24. Juni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2019)

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