Zukunftsträume durch Zeichentrick

In Japan ist die Produktion von Comics und Animationsfilmen längst aufeinander abgestimmt. Und erst mit Anime gelang der große Durchbruch im Westen.

Osamu Tezuka wurde als „Gott des Manga“ berühmt, aber eigentlich war der Animationsfilm seine Obsession: Als er die japanischen Comics revolutionierte, tat er das unter dem Einfluss westlicher Zeichentrickgrößen wie Disney, später investierte er immer wieder Manga-Gewinne in seine Zeichentrickprojekte, denen wechselhafter Erfolg beschieden war.

Doch auch für den japanischen Animationsfilm – kurz „Anime“ – spielte Osamu Tezuka eine Pionierrolle, und zwar durch die erfolgreichen TV-Serien, die er nach seinen Comic-Erfolgen gestaltete: „Astro Boy“ wurde ab 1963 die erste Umsetzung eines Manga als TV-Anime, ein Riesenerfolg in der Heimat und auch im Export. 1964 folgte mit „Kimba, der weiße Löwe“ ein zweiter Streich: Das Dschungelabenteuer schaffte es in den 1970ern sogar ins deutsche Fernsehen – es war die Zeit, als mit „Heidi“ oder „Wickie und die starken Männer“ japanische Animationskunst in den Westen gekommen war, ohne vom (Kinder-)Zielpublikum unbedingt als solche erkannt zu werden. Vielleicht hatte Tezuka unbewusst geahnt, dass der internationale Durchbruch nur mit Laufbildern zu erreichen war: Der Export von japanischen Comics ließ nicht nur deswegen lange auf sich warten, weil es inhaltliche Hürden zu überwinden galt – sei es die zu fremde japanische Alltagswelt auf der einen Seite, seien es andere kulturelle Normen bei der Darstellung von Fantasieszenarien auf der anderen. Sondern auch rein formale: So liest man Manga von links nach rechts, die ersten Übersetzungen wurden als spiegelverkehrt umgezeichnet, was manchmal zu Detailproblemen (und mehr) führte. So etwas gibt es im Animationsfilm nicht, der ist leicht zu übersetzen.


Durchbruch mit Science-Fiction. Mit den Erfolgen von Tezukas TV-Serien war auch bald ein Produktionssystem etabliert, das auf Synergien setzte: Mangas wurden so lanciert, dass eine vorsorglich mitproduzierte Anime-Serie parallel dazu ausgestrahlt werden konnte. In den 1970ern waren es dennoch vor allem Adaptionen westlicher Stoffe, die auch den Westen erreichten: So basiert die Science-Fiction-Kultserie „Captain Future“ auf einer Reihe amerikanischer Pulp-Romane. Der große Durchbruch im Westen kam jedoch mit diesem Genre, das auf Tezukas „Astro Boy“ zurückging.

Kazuhiro Otomos „Akira“ (1988), die Verfilmung seiner langlebigen Science-Fiction-Manga-Serie, traf mitseiner postapokalyptischen Version einen Zeitgeistnerv, der auch im Westen populär war – Otomos düstere Zukunftswelt war durchaus mit „Blade Runner“ kompatibel. Ähnlichen Erfolg hatte in der nächsten Dekade die Filmadaption des Cyborg-Thrillers „Ghost in the Shell“ durch den Anime-Philosophen Mamoru Oshii. Eine Schlüsselrolle bei der Popularisierung im Westen spielte die 1991 gegründete Firma „Manga Entertainment“, auch wenn sie erst für Begriffsverwirrung im Westen sorgte: Weil sie „Manga“ als Markenbezeichnung etablierte, vertrieb sie auch ihre Anime-Filme unter dem Begriff für japanische Comics.


Zwei „japanische Disneys“. Mittlerweile haben Hitserien wie „Sailor Moon“, „Pokemon“ oder „Dragonball“ samt ihrem Merchandising-Anhang längst Einzug in westliche Kinderzimmer gehalten (und sind als japanische Produkte unverkennbar). Ein Erfolg, den Tezuka, der 1989 an Magenkrebs starb, nicht mehr miterleben durfte, auch wenn sein Ruf als „der japanische Disney“ posthum bestätigt wurde – es gab eine Plagiatsklage beim Erscheinen von „Der König der Löwen“, der starke Ähnlichkeiten zu Tezukas „Kimba“ aufwies. Indessen erbte ein anderes Genie von Nippons Animationskunst den Titel „der japanische Disney“ (was im Wesentlichen die Einfallsarmut solcher Vergleiche belegt): Hayao Miyazaki, einst an „Heidi“ beteiligt, etablierte sich dann als Doyen des Anime, seit den 1990ern ist er auch im Westen (durch Vertrieb via Disney!) präsent, die magischen Zauberwelten von Filmen wie „Mein Nachbar Totoro“ erfreuen auch hiesige Kinder- und Erwachsenenaugen.

War Tezuka ein Comic-Künstler, der vom Zeichentrickfilm träumte, so unternahm der Animationsfilmmeister Miyazaki eine epische Expedition in die Manga-Welt: „Nausicaaä aus dem Tal der Winde“ aus 1984 war sein erstes persönliches Filmprojekt, so besessen war Miyazaki von seiner ökologischen Fantasie, dass er sie in einem Comic-Epos ausbauen wollte. Das 1983 begonnene Unterfangen dauerte bis 1994, der Schöpfer sprach später von „der schwierigsten Arbeit meines Lebens“. Das macht noch einmal die Differenzen zwischen Anime und Manga bewusst, dennoch ist die Verflechtung der beiden Bereiche teilweise undurchschaubar geworden.

Nicht nur werden erfolgreiche Comics mehrfach adaptiert – als Film(e) und Serien: Ein Klassiker wie „Galaxy Express 999“ begann 1977 sein Leben auf dem Papier, zwischen 1978 und 2005 wurde er dann fünfmal in Laufbilder übersetzt. Comic-Künstler, die durch kinematografische Technik auffallen, schaffen oft den Sprung ins Filmgeschäft: Wie Takashi Ishii, der in den 1970ern mit erotischen Manga begann und sich bald als Regisseur von Realfilmen wie „Gonin“ etablierte – die natürlich stark an Comics erinnern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2011)

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