Der unglaubliche Giftschrank des Vatikan

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In den Kapitolinischen Museen zeigt die katholische Kirche erstmals Dokumente aus dem Privatarchiv des Papstes: Lux in Arcana ist ein Gang durch viele Jahrhunderte. Barbarossa, Luther, Mozart – alle sind notiert.

Der Gelehrte gab sich feierlich und kleinlaut zugleich, als er im Juni 1633 in den großen Saal der Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva geführt wurde. Vor strengen geistlichen Herren sollte Galileo Galilei die für die katholische Kirche „falsche Lehre“ korrigieren, dass nicht die Erde, sondern die Sonne der Mittelpunkt der Welt sei. Die Inquisition aber diktierte: „. . . schwöre ich ab, verfluche und verwünsche ich mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben besagte Irrtümer und Ketzereien . . .“ Der 69-jährige Angeklagte entging nur knapp einer kapitalen Strafe. Das Urteil der Kirche: Verbot seines „Dialogs“ und Kerkerhaft. Diese wurde vom Papst noch im selben Jahr in lebenslangen Hausarrest verwandelt.

Erstmals ist dieses Dokument nun in Rom öffentlich zu sehen, gleich zu Beginn der Ausstellung „Lux in Arcana“ (Licht in die Geheimnisse) in den Kapitolinischen Museen, also im weltlichen Rom diesseits des Tiber, am Forum Romanum. Über der Vitrine in gedämpftem Licht wacht der Papst, der den Vorkämpfer des heliozentrischen Weltbilds unter Druck gesetzt hat: eine Statue von Urban VIII., der sich gegen das neuzeitliche Denken gesträubt hat (obwohl er es persönlich offenbar durchaus verstanden hat), thront über den weltberühmten Galileo-Akten – eines von hundert Exponaten in einer sensationellen Ausstellung. Jedes einzelne Dokument hat unschätzbaren Wert, etwa die Bulle von Honorius III., die Franz von Assisi 1223 die Ordensregeln erlaubt.

Lucrezia schreibt ihrem Papa einen Brief

Der Vatikan hat wahrlich die Highlights aus dem Geheimarchiv des Papstes für diese Schau zur Verfügung gestellt, Zeugnisse aus zwei Jahrtausenden, zu ganz großer Geschichte: das Buch „Liber Diurnus“ aus der Zeit Karls des Großen um 800, Dokumente zum Schisma von Ostrom 1054, das Neueste über Kreuzritter wie Kaiser Friedrich Barbarossa, die Bulle gegen Reformator Luther mit seiner Exkommunikation 1521, die Teilung der Neuen Welt durch Papst Alexander VI. 1493. Auch ein Brief seiner Tochter Lucrezia ist zu sehen, mit zarter Schrift berichtet sie über ihre Erfahrungen als blutjunge Fürstin. Rührende Texte sind darunter, etwa Briefe von Maria Stuart 1587 und Marie Antoinette 1793, kurz bevor sie hingerichtet wurden, auch enthüllende, zum Beispiel ein devotes Schreiben des französischen Philosophen Voltaire von 1745. Höchst Engagiertes und Persönliches steht neben Staatsaktionen: Michelangelo setzt sich 1550 für seine Steinmetze ein, Bernini stellt 1669 eine Rechnung für zwei steinerne Engel, während drüben auf der Insel die Lords Clemens VII. 1530 beschwören, dass er die Ehe ihres Heinrich VIII. mit Katharina von Aragon annulliere.

Es ist bekannt, wie diese Geschichte ausgegangen ist, es ist genau erforscht, wie die Kirche mit Giordano Bruno umsprang, ehe sie ihn verbrennen ließ. Was bedeutet also eigentlich geheim? Die oberösterreichische Historikerin Christine Grafinger, sie betreut die Handschriftensammlung der Biblioteca Apostolica Vaticana, spricht von einer semantischen Unschärfe: Der Ausdruck „Geheimarchiv“ als Übersetzung von archivum secretum sei missverständlich. Er verweise nur darauf, dass es sich um das persönliche Archiv des Papstes handle, in Abgrenzung zu denen kirchlicher Behörden. 85 Kilometer Akten umfasst dieses 1612 von Paul V. gegründete Privatarchiv, verschlossen sind die letzten 82 Jahre, darunter 16 Millionen Seiten Dokumente über Pius XII., der während des Zweiten Weltkrieges herrschte.

Monsterprozess gegen den Templerorden

Es sei allein Sache des Heiligen Vaters, welche Dokumente er freigebe, sagt Grafinger. Geöffnet wurde des Archiv 1881 erstmals von Leo XIII. Dass es auch ein Giftschrank sein kann, beweisen die Dokumente über den Prozess gegen die der Ketzerei bezichtigten Templer 1309–1311. Die Pergamentrolle ist fast 60 Meter lang. Von den Schaustücken haben einige Bezug auf die Habsburger, etwa ein Brief von Jan Sobieski, der 1683 das Heer gegen die Türken vor Wien angeführt hat. Man begegnet sowohl Kaiser Karl V. als auch Kaiserin Sisi, man sieht die Ernennung Mozarts zum Ritter vom Goldenen Sporn durch Clemens XIV. 1770. Die Schau ist aber nicht aufs Abendland fixiert, sie zeigt, wie früh sich der Vatikan schon als Sitz der Weltkirche verstand. Die Korrespondenzen reichen bis in die Mongolei, in einem Dokument von 1279. Ein Brief von Indianern Nordamerikas ist an den „großen Meister des Gebets“ in Rom gerichtet. Auf Birkenrinde schrieben die Ojibwe 1887 an Leo XIII. „von dort, wo das hohe Gras wächst“, und dankten ihm dafür, dass er ihnen einen „Gebetswächter“ geschickt habe. Der brachte es später sogar bis zum Bischof.
Bis 9. Sept. 2012, Kapitolinische Museen.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER:
www.luxinarcana.org

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