Joseph Anton: Das fade Leben des Salman Rushdie

(c) EPA (ARNO BURGI)
  • Drucken

In „Joseph Anton. Die Autobiografie“ erzählt der Schriftsteller von seinem Leben – nach der Fatwa – im Untergrund: Viel Tagebuchödnis, Tratsch und Taktlosigkeit, auch Österreich kommt vor.

Wäre Salman Rushdie getötet worden, wäre der Film „Die Unschuld der Muslime“ erst gar nicht entstanden, hat vor wenigen Tagen ein iranisches Institut verkündet und das schon seit 23 Jahren auf Rushdie ausgesetzte Kopfgeld auf 3,3 Millionen Dollar erhöht.

Die Todfeinde des indisch-britischen Schriftstellers hätten das Erscheinen seines neuen Buchs nicht besser orchestrieren können. Denn weltweit sind am Dienstag seine „Memoiren“ erschienen: „Joseph Anton. Die Autobiografie“. Joseph Anton war das Pseudonym, das sich Rushdie während seiner Jahre im Untergrund zulegte. Es spielt auf zwei seiner Lieblingsdichter an: Anton Tschechow und Joseph Conrad. Conrad hat ihm auch das Motto für die dunkelsten Jahre seines Lebens geliefert: „Aber man muss leben, bis man stirbt, oder?“

Wenige Tage sind vergangen zwischen der Veröffentlichung von Ausschnitten aus dem Mohammed-Schmähfilm und den ersten Toten. 1988 bewegte sich die Welt noch etwas langsamer. Im Herbst jenes Jahres wurde Rushdies Roman „Die Satanischen Verse“ veröffentlicht, am Valentinstag 1989 verkündete Ayatollah Khomeini vom Totenbett seine Todes-Fatwa. Man stand noch vor der Schwelle zum Internet- und Handyzeitalter, aber die muslimische Wutindustrie funktionierte dennoch erstaunlich effizient, mittels Faxen, Telexen, Flugblättern.

Islam beleidigt? „Ehrlich verwirrt“

Die Kritik, er habe provozieren wollen, versucht der Autor nun ausführlich zu entkräften, indem er die Entstehung des Werks schildert. Am interessantesten sind die Einblicke in Rushdies (areligiöse) Familiengeschichte. Als ihm vorgeworfen wurde, den Islam zu beleidigen, sei er „ehrlich verwirrt“ gewesen, schreibt Rushdie, der von sich in der dritten Person schreibt. „Er dachte, er hätte sich auf künstlerische Weise mit dem Phänomen der Offenbarung auseinandergesetzt; eine Auseinandersetzung vom Standpunkt eines Ungläubigen, gewiss, dennoch aber eine ernsthafte Auseinandersetzung.“

Wie kam es dann, dass die „Times“ 1990 einen Text von ihm brachte: „Why I embraced Islam?“ Darin erfuhr die Öffentlichkeit, dass er sich nun als „Muslim“ bezeichnen könne, und dass es eine „Quelle des Glücks“ für ihn sei, „nun innerhalb einer Gemeinschaft zu sein, deren Werte mir immer ganz nah am Herzen lagen“. Der Autor erzählt, was davor in der Polizeistation Paddington Green geschah, der sichersten Großbritanniens. Dort sollte er Wortführer britischer Muslime treffen, die ihm angeblich helfen wollten. „Sechs Richtern gleich saßen sie in gerader Reihe an einem langen Tisch, ihnen gegenüber stand ein einzelner Stuhl.“ Sie wollten eine Kampagne starten, damit die Fatwa beigelegt werde, wenn er nur zeige, dass er zu ihnen gehöre; sie hätten einen Text vorbereitet. „Er hörte das verführerische Wispern der Hoffnung.“ Zu Hause habe er sich „heftig übergeben“. Die Fatwa habe sein geheimes Ich nackt ins Rampenlicht gezerrt, schreibt Rushdie – und stellte sich diesem Ich: „Schwacher Mann, nicht gerade der mutigste Mann der Welt. Dann ist es eben so.“

Rushdie hat seine „Bekehrung“ bald widerrufen, die Scham lebte weiter. Gut, dass er nicht sein eigener Verleger war, denkt man sich auch an manchen anderen Stellen des Buches. Sein amerikanischer Verleger Peter Mayer wich trotz der Ermordung mehrerer Rushdie-Übersetzer und -Verleger zunächst „keinen Millimeter“. Weil er später aber zögerte, eine Taschenbuchausgabe herauszubringen, haftet an ihm, glaubt man Rushdie, „ewig ein Makel“. Dass er auf eine Taschenbuchausgabe verzichten würde, gehörte übrigens auch zu den Dingen, die Rushdie auf der Polizeistation versprach.

Kugelsichere Scheiben beim Verleger

Immer wieder beschreibt Rushdie dankbar, wie viel Solidarität er erfuhr – und rechnet ab mit jenen, die sich anders verhielten. „Der Verleger mit dem wenigsten Rückgrat war vermutlich der Leiter eines europäischen Verlagshauses, dessen Name hier nicht genannt werden soll, ein Verleger, der kugelsichere Scheiben in die Fenster seines Büros im ersten Stockwerk einsetzen ließ, nicht aber in den ebenerdigen Fenstern, hinter denen man seine Angestellten sehen konnte.“

Alles in allem aber: Tagebuchödnis, Tratsch und Taktlosigkeit, man erfährt „Enthüllungen“ und Anekdoten aus der Welt der Literatur, aber eine breite Leserschaft wird das kaum interessieren, so wenig wie Liebschaften und gescheiterte Ehen. Weniges ist amüsant – etwa wie er den Schriftsteller Thomas Pynchon in rot-weißem Holzfällerhemd traf; oder wie U2-Sänger Bono ihn um Nachhilfe beim Dichten bat. Ein bisschen was steht auch über Österreich. „Es stellte sich heraus, dass er bereits vor zwei Jahren den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur erhalten hatte, doch die österreichische Regierung hatte die Information unterm Deckel gehalten.“ Über den „stattlichen Bohemien“ Claus Peymann, über den damaligen Kulturminister Rudolf Scholten und wie er bei André Hellers „Fest für Freiheit“ auf dem Heldenplatz auftrat.

„Joseph Anton – eine Autobiografie“ zeigt, dass ein ungewöhnliches Schicksal einen Menschen weder liebenswerter noch interessanter macht. Nach dem starken Anfangskapitel vergisst man auch, dass man es mit einem außergewöhnlichen Schriftsteller zu tun hat. Aber dem kann man abhelfen, indem man zu früheren Büchern greift, etwa den „Satanischen Versen“. Wer weiß, ob sie heute noch veröffentlicht würden, fragt Rushdie. Und da hat er vermutlich recht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.