Prechtig praktisch: Die Philosophen-Helfer

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Haben Psychologen ausgedient? Ratgeber-Philosophen wie Richard David Precht boomen, die „Philosophische Praxis“ blüht. Eine Bestandsaufnahme zum Welttag der Philosophie.

Ist es moralisch falsch, sein eigenes Haustier zu essen? Kann Rassendiskriminierung mit Ästhetik zu tun haben? Wenn jeder überzeugt wäre, dass Blau die beste Farbe ist, wäre es dann die beste Farbe? Auf Askphilosophers.org kann jeder Fragen stellen, und Philosophen antworten. Die amerikanische Website ist ebenso wie das Philosophenforum „The Stone“ der „New York Times“ symptomatisch für einen Trend, der nicht nur die USA betrifft: Was Philosophen zu alltäglichen oder gesellschaftlichen Angelegenheiten zu sagen haben ist den Menschen nicht egal.

Lange lautete der Hauptvorwurf gegen die Philosophie, sie sei zu abgehoben, damit scheint es endgültig vorbei. Konsumfähig gemacht, kann sie Massen begeistern. Philosophen sitzen in den Ethikräten und beraten über Stammzellenforschung und Klonen. Sind sie wortgewandt und Vereinfachungen nicht abhold, im Idealfall auch noch fesch wie Richard David Precht, dann schreiben sie Bestseller und füllen Vortragshallen.

Nervöse Zuckung einer sterbenden Zunft?

Grund zum Jubeln oder Jammern? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die einen sehen die Entwicklung als Verfallserscheinung einer sterbenden Disziplin, die keine großen Entwürfe mehr zu bieten habe. Sie berufen sich auf Platon – eine in der Praxis aufgehende Philosophie sei keine mehr. Die anderen bemühen Sokrates, die Stoiker oder Epikur: Philosophie sei auch, ja vor allem Anleitung zum richtigen Leben.

Dass die Nachfrage nach solchen Anleitungen existiert, zeigt das vor einem Jahr erfolgreich gegründete, fünfmal jährlich erscheinende deutschsprachige „Philosophie“, eine der wirklichen Bereicherungen der letzten Jahre auf dem deutschsprachigen Zeitschriftenmarkt. Themen lauten etwa „Kann ich mein Leben ändern?“ oder „Warum haben wir Kinder? Auf der Suche nach guten Gründen“.

Der Boom der Philosophie als Lebensberatung schlägt sich auch in unzähligen Neuerscheinungen nieder, in denen man etwa lernen kann, wie Schopenhauer gegen Liebeskummer oder Epikur gegen Geldsorgen hilft. Ob Plotin oder Montaigne, Seneca oder Kant, die großen abendländischen Philosophen werden zu handlichen Lebenshelfern zurechtgetrimmt. Wer mit Religion nichts anfangen kann, Psychotherapeuten misstraut und auch nicht Buddhist werden will, kann sein Heil in Büchern suchen, die Titel tragen wie Alain de Bottons „Trost der Philosophie. Eine Gebrauchsanweisung“ oder Richard David Prechts „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“. Literaturkritikerin Elke Heidenreich rühmte das Buch des damals 42-jährigen Precht als „ersten Schritt auf dem Weg zum Glück“, was das Buch prompt auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste beförderte. Dass Fachkollegen dem Autor totale Inkompetenz und die wissenschaftliche Eignung eines Märchenonkels bescheinigen, hat das ZDF im September nicht davon abgehalten, Precht eine eigene Philosophiesendung zu geben.

Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit als Bücherlesen: die „Philosophische Praxis”. Vor 30 Jahren gründete Gerd B. Achenbach die erste, heute wird ihre Zahl allein im deutschsprachigen Raum auf gut 100 geschätzt, auch in anderen Ländern Europas und in den USA sind sie verbreitet. Selbstständige Philosophen bieten Hilfe bei großen Fragen des Lebens an, aber auch bei kleinen wie etwa der Aufteilung der Hausarbeit. Sogar E-Mail-Beratung gibt es.

Andere Berater halten ihre Sitzungen im Kaffeehaus ab, in der Regel aber empfangen sie ihre Klienten in Büros oder bei sich zu Hause. Der Wiener Eugen-Maria Schulak etwa empfängt seine Klienten auf einem hochqualitativen Sofa in asketisch-eleganter Wohnzimmeratmosphäre.

„Das Leben von allein versaut!“

Ist nach Beichtstuhl und Couch die Ära des Sofas als neues Heilsmöbel angebrochen, sind Philosophen die neuen Konkurrenten der Psychologen? Der geistige Vater der „Philosophischen Praxis“, Gerd B. Achenbach, jedenfalls rühmt im Gespräch mit der „Presse“ die Philosophen als bessere Lebenshelfer: „Alle Psychotherapie geht davon aus, es gäbe so etwas wie ein normales, gelungenes Leben, solange es nicht gestört wird. Die gesamte Philosophie seit Sokrates und der Stoa hat eine andere Idee: Das Leben ohne weiteres gelingt nicht, es versaut!“

Leben ist demnach eine Sache des Könnens. Für die Stoiker etwa war die Philosophie ein Heilmittel für die Seele, wie die Medizin für den Körper. Der Weg zum gelungenen Leben führte vor allem über die Affektbeherrschung. Epikur wiederum wollte dem Menschen helfen, sich von grundlos beängstigenden Vorstellungen wie dem Tod oder strafenden Göttern zu befreien.

Verpfuschtes Leben? „Alles fließt!“

Aber glaubt man den philosophischen Beratern, eignen sich fast alle abendländischen Philosophen zur Lebenshilfe. Andreas Mussenbrock, der in Münster eine „Philosophische Praxis“ betreibt, stellt in seinem Buch „Termin mit Kant“ eine fiktive Klientin Annegret vor, die ihr Leben als verpfuscht ansieht. Ihr könnte Heraklit mit seiner „Alles fließt“-Philosophie helfen, meint er, aber auch eine Dosis Parmenides, denn: „Gegen die Enthobenheit aus dem Sein hilft nur die Verortung des Menschen in der allumfassenden Einheit des Seins.“ Na dann.

Das Zitat zeigt: Wer glaubt, dass er in einer „Philosophischen Praxis“ nur einen Esslöffel Nietzsche, zwei Esslöffel Plotin und drei Esslöffel Spinoza zu schlucken braucht, hat sich die Heilung zu einfach vorgestellt. Nicht einmal die am praktischesten ausgerichteten Philosophen, etwa Augustinus oder Montaigne, haben simple Gebrauchsanweisungen für das richtige Leben erstellt.

Umso wichtiger für das Gelingen einer philosophischen Beratung sind also die selbsternannten Vermittler. Achenbach, der die Internationale Gesellschaft für Philosophische Praxis (IGPP) gegründet hat, beteuert, es gebe große Bemühungen um seriöse Standards, etwa mithilfe eigener Ausbildungsstätten. „Aber da der Beruf juristisch nicht geschützt ist, kann derzeit auch ein Scharlatan ihn ausüben.“

„Keiner kriegt hier Nietzsche verordnet wie andere Aspirin“, sagt Achenbach: „Die philosophische Beratung ist eher wie die Kunst, einen Roman zu lesen.“ Die meisten Leben seien allerdings zunächst einmal langweilige, stumpfe Romane. „Die unendliche Vielfalt der Philosophie kann hier wie ein Pflug funktionieren, der einen trockenen Acker wieder fruchtbar macht. Es gibt ein schwaches, langweiliges, durchhängendes Leben und ein starkes, das dabei ist, gut zu werden.“ Oft könne freilich auch die beste Einsicht an tragischen Lebensumständen nichts ändern. „Aber die Philosophie versöhnt auch mit Fällen, in denen es nur noch darum gehen kann, uns zu einem Resultat in ein inneres Verhältnis zu setzen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2012)

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